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Berlin: Trauer im Tower

Die Lotsen von Tempelhof lieben ihren Arbeitsplatz. „So ein Flughafen kommt nie wieder auf die Welt“

Sechster Stock, 37 Stufen auf enger Wendeltreppe nach oben – es öffnet sich ein atemberaubendes Panorama: Das ganze Flugfeld mit seinen zwei Rollbahnen liegt denen, die hier arbeiten, zu Füßen. Es ist Donnerstagvormittag, die Stadt ringsum flimmert vor Geschäftigkeit, die S-Bahn und die Stadtautobahn klingen wie fernes Meeresrauschen. Das weite Feld aber wirkt schon vor der geplanten Schließung wie eine grüne Oase der Ruhe. Ein Fuchs streunt unten über die Landebahn. Hier oben ist der höchste Punkt des Geländes, der Tower von Tempelhof.

Es ist kurz nach zehn Uhr, gerade hat eine kleine Aerostar-Maschine nach Zürich abgehoben, sonst ist nichts los auf dem Rollfeld, aber rund 40 An- und Abflüge hat es heute schon gegeben, berichten die Lotsen, ein stolzes Ergebnis. Ein Dutzend kleiner Geschäftsflugzeuge stehen unmittelbar unter dem Tower. Die Leute hier oben sichten auf dem Kontrollschirm einen Airbus aus Hamburg, der gerade – die Radarkarte zeigt es – die Avus überfliegt und als kleiner glitzernder Punkt schon in Sichtweite ist. Sie witzeln, dass bald auch der „Kaiser“ aus Österreich kommt, „und vielleicht den ganzen Laden hier kauft“. Ein „Statusflug“ ist avisiert, wieder irgendeine Wirtschaftsgröße auf dem Weg nach Berlin. Es gibt Maschinen, die haben Zusatzzeichen wie „Eis“ und „Books“ am Rumpf, und im Tower wissen sie dann Bescheid, welche Branche sie da gerade lotsen. Dietmar Hildebrandt ist Leiter von insgesamt 14 Lotsen, die jeweils mit zwei Mann den Tower durchgängig besetzt halten, auch zwischen 22 und 6 Uhr. Da ist kein offizieller Flugverkehr, aber Ambulanz-, Vip- und Staatsflüge sind abzufertigen. „Eigentlich ist nachts nichts los“, sagt Hildebrandt. Und tagsüber? Das ist es oft sehr ruhig, oft stundenlang, dann aber kann es, fast unerwartet, wieder sehr heftig werden, dann sind gleichzeitig sieben Flugzeuge abzufertigen, der vorübergehenden Entspannung im Tower folgt höchste Konzentration.

„Wir langweilen uns hier nie“ , versichern Hildebrandt und seine zwei Lotsen Dirk Scheiner und Lars Nölte an diesem Vormittag. Der eine ist für die Platzierung der Flugzeuge auf der Rollbahn zuständig, der andere für die Kontrolle, für die Sicherheit in der Berliner Luft.

Es sind nicht nur wenige An- und Abflüge, über die sie wachen: Jeder Flughafen hat eine eigene Kontrollzone, und jeder „Sichtflieger“ mit seiner kleinen Privatmaschine, jeder ADAC-Hubschrauberflug, braucht den Kontakt zum Tower, damit es nicht zu Kollisionen mit den Verkehrsfliegern kommt. Rund 20 Kilometer in alle Richtungen, 900 Meter hoch, das ist die „Kiste Luft“, über die der Tower wacht.Gut 500 Starts und Landungen gibt es in der Woche, fast soviel meldet der Flughafen Tegel an einem Tag. Das Wochenende sieht in Tempelhof mit oft nur 25 Flügen besonders mau aus.

Hildebrandt kam 1990 hierher, vor der Wende wurde er in Schönefeld ausgebildet. Als er in Tempelhof anfing, „ging es hier noch mal richtig los“, schwärmt er. Wird der „Laden geschlossen“, ziehen er und die Kollegen nach Schönefeld oder Tegel, etliche sind schon heute auch in den anderen Airports tätig. „So ein Flughafen kommt nie wieder auf die Welt, es ist der schönste, den es gibt“, sagt Hildebrandt. Es gibt viele hier, die meinen, Geschäftsflugverkehr gehöre nicht nach Schönefeld, dort könne man die kleinen Maschinen auch gar nicht verkraften. Lotse Bruce Christie ist einer von ihnen, der Kalifornier kam mit der US-Luftwaffe, fing hier 1985 imTower an. „Die Berliner werden Sonntag den Flughafen retten“, sagt er. Er sei für die Wirtschaft interessant, bedeute Milliardengeschäfte.

Den Lotsen bedeutet er auch viel, über Emotionen wird hier nicht gern gesprochen, aber sie sind spürbar. Wie die Trauer, dass alles um den Tower herum so langsam abstirbt. Bis 2006 gab es in der neuerrichteten Radarzentrale nebenan noch über 200 Radarlotsen, die über den Luftraum in Norddeutschland wachten. Die Kollegen wurden inzwischen alle nach Bremen abgezogen. Der Airbus aus Hamburg setzt zur Landung an. Als das Flugzeug seine Position erreicht, greift Hildebrandt zum Fernglas. „China Trading“ steht auf der Maschine, die Leute, die entsteigen, sehen schwer nach Geschäften aus. Und schon wird in der Luft ein silberner Punkt sichtbar, der „Kaiser“ schwebt mit einer Cessna über die Oderstraße ein. Einer der Lotsen vermutet, da säße der Chef einer großen Brauerei drin.

Sie wetten, mit wie vielen Stimmen die Tempelhof-Befürworter am Sonntag gewinnen. „Aber was passiert am Montag, am Dienstag?“, fragen sie in ihrem Tower. Der bleibt, der ist, was auch immer kommen mag, denkmalgeschützt.

Christian van Lessen

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