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Berlin: Trauer nach dem Terror

Den ganzen Tag über verfolgten Berliner Türken die Fernsehbilder aus Istanbul. Sie sorgten sich um ihre Angehörigen und gedachten der Opfer mit Schweigeminuten

Erst atemlose Stille, dann ein empörter Tumult. Als das Musikvideo von einer Schaltung nach Istanbul unterbrochen wurde, hielten beim „Coiffeur International“ am Kottbusser Tor Barbiere und Kunden für einige Minuten inne, starrten nur fassungslos auf den Bildschirm. „Und dann riefen alle durcheinander“, sagt Friseur Ali Özman (34) in Kreuzberg. Vor Empörung und Wut.

Der Griff zur Fernbedienung zählt in vielen türkischen Haushalten der Stadt zur morgendlichen Routine. Nachdem das Fernsehen gestern das erste Mal über die verheerenden TerrorAnschläge in Istanbul berichtet hatte, griffen viele Türken zunächst einmal zum Telefon. „Ich habe meine Mutter angerufen“, sagt Kenan Kolat vom Türkischen Bund. „Sie wohnt in der Nähe der Synagogen.“ Mehrere Stunden verbrachte er am Telefon, versuchte, die Jüdische Gemeinde zu erreichen, das American Jewish Committee, sprach mit Freunden und Kollegen.

Auch der Leiter des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, griff gleich zum Hörer, als er die Nachricht hörte. „Ich habe beim Zentralrat der Juden in Deutschland angerufen und Paul Spiegel mein Beileid ausgesprochen. Und auch mit der Jüdischen Gemeinde in Istanbul habe ich telefoniert“, sagte er gestern.

Der Abgeordnete Özcan Mutlu stand gerade unter der Dusche, als das Telefon klingelte. „Schalt den Fernseher ein!“, meldete sich eine Freundin. Der Anschlag, bei dem am Sonnabend mindestens 20 Menschen getötet wurden, beschäftigte den bündnisgrünen Politiker dann immer weiter. Die Verleihung des Mete-Eksi-Preises im DGB-Haus wurde um einen weiteren Tagesordnungspunkt erweitert; ein Redner verurteilte das Attentat in der Türkei. „Anschließend wurde eine Schweigeminute eingelegt“, sagt Mutlu. Erst danach wurden die Preisträger 2003 gefeiert.

Anschließend zog Mutlu ins Hotel Park Inn am Alexanderplatz, wo die Türkische Gemeinde zum Fastenbrechen im Ramadan geladen hatte. In den Reden beim Essen, das nach Sonnenuntergang gereicht wurde, gedachten die Teilnehmer der Opfer. Botschaftsrat Can Ünver reagierte deprimiert auf die Nachrichten. „Es ist schlimm, dass es gerade in Istanbul passiert ist, wo die jüdische Gemeinde eine jahrhundertealte Tradition hat.“ Für Generalkonsul Aydin Durusoy sind die Konsequenzen klar: „Der Terror ist international und kann nur durch internationale Zusammenarbeit bekämpft werden.

Auch im Jüdischen Museum, wo am Abend der „Preis für Verständigung und Toleranz“ verliehen wurde, war das Attentat Gesprächsthema Nummer eins. Ein türkischer Bekannter hatte am Morgen Deidre Berger vom American Jewish Committee informiert. Erst kürzlich hatte sie zu einer neuen Runde des „Turkish-Jewish Roundtables“ geladen. „Wir pflegen gute Beziehungen zur türkischen Gemeinde“, sagte sie. Das Attentat habe sie schockiert, aber nicht überrascht. „Seit dem 11. September hat in der moslemischen Welt der Antisemitismus zugenommen.“ Shimon Stein, der israelische Botschafter sagte am Rande der Preisverleihung, dass man das Attentat als Mahnung betrachten müsse: Der Terror kenne keine Grenzen. Umso wichtiger sei eine Feier und ein Preis wie dieser: für Verständigung und Toleranz. kf, suz, oew, rcf

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