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© Uwe Steinert

Trauer um Präsidenten: Polen in Berlin: Bestürzt, fassungslos, schockiert

Rund 44.000 Menschen mit polnischem Pass leben in Berlin. Kurz nach dem Flugzeugabsturz und dem Tod des Präsidenten Kaczynski gab es spontane Gedenkveranstaltungen.

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Eigentlich wollten sie Umräumarbeiten erledigen, jetzt sitzen einige Mitglieder vom „Club der polnischen Versager“ am Rosenthaler Platz in abgewetzten Sesseln und können es nicht fassen: „Das ist nicht nur eine Tragödie, sondern völlig grotesk – wie in einem unglaublichen Film“, sagt Piotr Mordel, einer der Gründer des Clubs mit dem selbstironischen Namen, der sich dem deutsch-polnischen Kulturaustausch in Berlin verschrieben hat

Mordel hat am Morgen gehört, dass Polens Präsident Lech Kaczynski, seine Frau und viele Regierungsmitglieder bei einem Flugzeugabsturz im russischen Smolensk ums Leben gekommen sind. „Sie wollten zur Gedenkfeier nach Katyn, wo vor 70 Jahren ein Teil der polnischen Elite ausgelöscht wurde“, sagt Mordel: „Und jetzt ist fast das Gleiche passiert: Es sollen fünf Generäle an Bord gewesen sein, ich fasse es nicht. Mussten die denn alle mit derselben Maschine fliegen?“

Seine Freunde nicken. Es ist Samstagnachmittag und immer noch kommen völlig widersprüchliche Nachrichten aus Smolensk, Moskau und Warschau. Mal ist von 132 Toten die Rede, mal von 88 – auch die Namen der Toten sowie die Informationen über die Unfallursache widersprechen sich manchmal.

„Uns ist egal, wieso es passiert ist. Wir sind einfach nur in Trauer um die Menschen, um unseren Präsidenten, seine Frau und die vielen anderen Opfer des Unglücks“, sagt Tomasz Klon, dessen Eltern in Berlin mehrere Läden betreiben, in denen sie polnische Lebensmittel verkaufen. Den ganzen Tag schon rufen bei ihnen Verwandte und Freunde aus Polen und Berlin an, erzählt Tomasz Klon, sie sind bestürzt, fassungslos, schockiert.

Rund 44 000 Bürger mit polnischem Pass sind in der Hauptstadt gemeldet, hinzu kommen die Berliner mit polnischen Wurzeln und polnischer Muttersprache – insgesamt sind das bis 200 000 Menschen, die zweitstärkste Ausländergruppe nach den Türken. Auch wenn die Polen im Stadtbild kaum auffallen, weil sie verstreut in der gesamten Stadt wohnen und gut integriert sind, gestern suchten sie die Nähe ihrer Landsleute.

Vor allem auch deshalb hatte die deutsch-polnische Gesellschaft bereits am Sonnabend um 16 Uhr kurzfristig zu einer Gedenkfeier in die Galerie Beletage in der Genthiner Straße 36 in Tiergarten eingeladen. Im Vorzimmer der Kunstgalerie lag ein Kondolenzbuch aus, im Hauptraum stand das Bild des polnischen Präsidentenehepaars mit Trauerflor. Zwei Mädchen zündeten weiße Kerzen an. Pater Tadeusz Nieweglowski von der polnischen St.-Johannes-Gemeinde predigte für die Toten und ihre Angehörigen: „Die Geschichte wird noch viel über diesen Tag zu klären haben. Aber heute wollen wir nur gemeinsam die Trauer fühlen.“ Dann rief der Pater dazu auf, für Ruhe und Frieden in Polen zu beten und lud die Anwesenden zum Trauergottesdienst in die Basilika St. Johannes am Südstern in Kreuzberg ein, am heutigen Sonntag, um 10.30 Uhr an der Lilienthalstraße 5. In dem Gotteshaus finden regelmäßig katholische Gottesdienste auf Polnisch statt.

Vor der polnischen Botschaft in Grunewald standen schon gestern Mittag schwarz gekleidete Menschen, die Kerzen und Blumen in den Händen hielten. Um 18 Uhr – als die offizielle einwöchige Staatstrauer in Polen begann, hatten die Botschaftsangestellten das Kondolenzbuch ausgelegt. Auch am heutigen Sonntag können sich Trauernde hier eintragen.

Barbara Thielecke, die mit ihrer Familie das polnische Restaurant „Alt-Krakau“ am Tempelhofer Damm betreibt, kann ihre Tränen nicht zurückhalten: „Ich habe es nicht geglaubt, als mir mein Mann am Morgen sagte, was passiert ist“, erzählt sie. „Es ist so furchtbar, die armen Menschen.“ Normalerweise veranstaltet die Polin am Sonnabend gemütliche Feiern mit Livemusik, aber gestern war nur noch Trauer angesagt. „Wir haben den ganzen Tag lang unsere Gäste angerufen und ihnen erzählt, dass die Feier ausfallen wird“, erzählt Barbara Thielecke: „Aber alle, auch unsere vielen deutschen Besucher, hatten absolutes Verständnis dafür.“

Im „Polonicum“ in der Potsdamer Straße sitzt Adam Gogolkiewicz, der Vizevorsitzende des Deutsch-Polnischen Kulturvereins. Er hat auch schon den ganzen Tag Anrufe schockierter Polen erhalten, erzählt er, hält aber nichts von den Theorien über eine schicksalshafte Fügung, die manche seiner Landsleute jetzt verfolgen. „Es ist natürlich eine Tragödie“, sagt er. „Aber eine Tragödie unter vielen, die eben passieren. Das muss man nicht unbedingt symbolisch sehen.“

Piotr Mordel vom „Club der polnischen Versager“ ist da ganz anderer Ansicht. „Natürlich hat dieses Unglück eine große Symbolkraft“, sagt er. „Im Flugzeug saßen ja auch viele Angehörige jener Offiziere, die vor 70 Jahren in Katyn ermordet wurden.“ Am meisten aber beschäftigt den 49-Jährigen die Frage, wie es jetzt weitergehen wird in seinem Heimatland: „Polen ist ohnehin in einer schwierigen Situation. Hoffentlich verkraftet es diese Tragödie.“

Sandra Dassler/Sidney Gennies

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