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Berlin: Trip und Hopp

Wir sind Heuchler, sagt Massive-Attack-Chef Robert del Naja. Aber von irgendwas muss man ja leben. Drei Tage ist die Kultband der 90er in Berlin

Von Lars von Törne

und Michael Schultheiss

Sollten Sie in diesen Tagen in Kreuzberg oder Mitte einem unrasierten, übernächtigten Mittdreißiger mit verwuschelter Punkfrisur begegnen, der mit provokantem Stolz das schwarze T-Shirt der irakischen Fußballnationalmannschaft trägt, dann dürfte es sich um den Chef der wohl einflussreichsten britischen Popband der 90er Jahre handeln. Massive Attack sind in der Stadt, und Frontmann Robert Del Naja nutzt die Zeit zwischen seinen insgesamt drei Auftritten für ausführliche Stadterkundungen. „Letzte Nacht waren wir im Cookies-Club und haben bis 9 Uhr morgens gefeiert“, erzählt er, fläzt sich ins Sofa der Tempodrom-Umkleidekabine und sieht auch am Nachmittag noch sichtlich erschöpft aus. „Clubbing in Berlin ist immer eine gefährliche Sache“, sagt er. „Man kommt nie rechtzeitig nach Hause.“

Ein wenig klingt da die Sehnsucht durch nach alten Zeiten, den Jahren in Szene-Clubs, in denen Anfang der 90er Jahre alles begann. „Ja, das Gefühl kommt immer noch wieder zurück“, sagt del Naja. „Aber wirkliche Sehnsucht nach den alten Zeiten habe ich dann doch nicht. Ich habe genug von den kleinen, verschwitzten Clubs, in denen wir anfangs spielten.“ Obwohl er sich manchmal schon wie ein Heuchler fühle, der den Underground-Sound Bristols zu einem weltweit verkauften Mainstream-Markenartikel gemacht hat: „Unser Bandname ist ein Logo geworden, das Plattenfirmen global verkaufen – aber was soll man machen? Von irgendwas muss man ja leben.“

Umso wichtiger ist Robert del Naja seine politische Botschaft: Parolen gegen Krieg und Globalisierung gehören zum Standardprogramm. Auch das mit dem Irak-T-Shirt ist ein Statement, sagt del Naja: „Ich will daran erinnern, dass es im Irak eine Zivilbevölkerung gibt, die jetzt mit den Folgen des Krieges klarkommen muss“. 3D, so sein Künstlername, sieht sich eben auch als politischer Aktivist. „Wir wollen unser Publikum auf subtile Weise sensibilisieren für die Dinge, die in der Welt schief laufen“, sagt er. So demonstriert die Band bei ihrer Show im Tempodrom politische Korrektheit. Börsennachrichten flimmern über die Großleinwand. Dann die weltweiten Verteidigungsausgaben und die Zahl der Pizza-Hut-Kunden. Und immer wieder Fragen zu Sinn und Folgen des jüngsten Golfkriegs. Es ist eine leicht hilflose überkommene Kritik, mehr ein Statement als ein großes Auflehnen, konsumierbar. So ist auch die Musik von Massive Attack an diesen Abenden. Sie umschreibt und erinnert an das sanft melancholische Lebensgefühl der Neunziger. Melodisch schlicht und versöhnlich, gespickt mit Klangfetzen und Geräuschen: Der neue Pop kam aus Bristol, hörte auf das Kunstwort Trip-Hop, eine Melange aus Hip-Hop und Dub. Zu den Erfindern der aus zahllosen Samples, manipulierten Break- Beats und Synthesizersounds bestehenden Musik gehörten auch Massive Attack.

Zum Duo geschrumpft, haben Robert del Naja und sein Mitstreiter Daddy G Anfang des Jahres ein neues Album vorgelegt, noch düsterer, noch flächiger, aber auch flacher. Die neuen Stücke wabern bedeutungsschwanger, ein Lebensgefühl drücken sie lange nicht mehr aus.

Im Tempodrom liefern die beiden Frontmänner mit ihrer Mietband und der bemühten Ex-One-Dove-Sängerin Dot Allison kaum mehr als ein erträgliches Klangbild. Das Publikum, heute allesamt um die Dreißig, stört das nicht. Sie goutieren die Songs als wieder etwas völlig Neues, etwas anderes. Massive Attack liefern ein ziemlich cleanes Konzert ab. Doch das Soundgewitter im Tempodrom verkommt zur Nostalgiefalle. Die Stücke der neuen Platte „100th Window“ werden beklatscht – gefeiert werden die alten. War „Unfinished Sympathy“ vom ersten Massive-Attack-Album noch die Hymne einer Generation, so sind die neuen Songs nur noch ein Abgesang. „Wo ist die Anti-Kriegsbewegung jetzt?“, fragt die Videowand. „Ist die Welt jetzt besser?“

Ein Thema gibt es indessen, auf das Robert del Naja trotz all seiner Lust an der Provokation allergisch reagiert: Die – kürzlich offiziell entkräfteten – Vorwürfe der Bristoler Polizei, der Musiker habe sich illegale Kinderpornographie aus dem Internet besorgt. „Je mehr ich über diese falschen Anschuldigungen rede, desto länger halte ich sie dadurch am Leben“, sagt er verärgert. „Aber das ist alles Bullshit!“

Für das dritte Konzert von Massive Attack am heutigen Sonnabend um 20 Uhr im Tempodrom gibt es noch Restkarten für 33 Euro

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