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Berlin: Trommeln gegen „Heuchelei und Dilettantismus“

Von Ulrich Zawatka-Gerlach Er hält keine Rede, sondern erzählt eine Geschichte. „Pass’ auf den Bären auf!

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Er hält keine Rede, sondern erzählt eine Geschichte. „Pass’ auf den Bären auf!“, habe eine Mutter kürzlich am Bahnhof Zoo zu ihrer Tochter gesagt, die im Puppen-Buggy einen Berliner Bären vor sich herschob. Christoph Stölzl kam gerade mit dem Zug aus Weimar und hörte den Satz. Am Sonnabend amüsiert er damit den CDU-Landesparteitag. „Pass auf den Bären auf. Wäre das nicht eine Devise für uns?“ Er spricht von Familienangelegenheiten, glücklicher Zukunft und von der Volkspartei mit bürgerlichem Gewissen. „Was war, das war“, sagt Stölzl auch.

Den Sozialdemokraten wirft er vor, den Berlinern ein „Gebräu aus Neid, Ressentiment, Heuchelei und Dilettantismus einzuschenken“ und redet sich so tief in die Herzen der CDU-Delegierten hinein. Minutenlang spenden sie ihrem neuen Landesvorsitzenden Beifall, springen von den Stühlen auf, einige rufen „Bravo“. Stölzl lacht, hebt die Hände zur Siegerpose, und eine dreiviertel Stunde später ist er der neue Berliner CDU-Chef. Mit einem überwältigenden Ergebnis: 324 Jastimmen, nur 23 Neinstimmen und fünf Enthaltungen.

Stölzl ist „gerührt und beschämt“. Er bekommt vom CDU-Fraktionschef Frank Steffel eine Trommel geschenkt und wirbelt sogleich mit den beiden Stöcken herum. Macht Krach mit viel Lust. Eberhard Diepgen hätte sich das nie getraut. Apropos Diepgen: Stölzls Vorgänger lässt sich an diesem Wochenende im Maritim-Hotel in der Friedrichstraße nicht blicken. Das hat auch niemand erwartet. Auf dem CDU-Landesparteitag spricht fast niemand von ihm. Wiederum bleibt es dem neuen Parteichef überlassen, gute, schöne Worte zu finden. Für Diepgen, „das Genie der Unverdrossenheit“, der erfolgreich die Kämpfe auf den Schlachtfeldern des Kleingedruckten geschlagen habe. Für Diepgen, dem noch „in würdiger Form bleibend zu danken“ sei. Die Delegierten applaudieren und sind einverstanden. Aber das ist es dann auch. Nur keine Diskussionen mehr über die Vergangenheit. „Neustart für die Hauptstadt“, steht in großen, roten Buchstaben auf dem Plakat hinter dem Präsidiumstisch.

Matthias Wambach, bis gestern kommissarischer CDU-Generalsekretär, übersetzt es in bestes Computerdeutsch. Diese Neuwahl des Landesvorstands sei das „Update“ der Berliner Christdemokraten: „Wir sind noch da, liebe Freunde, wir sind noch da.“ Es ist ein Parteitag der lockeren Wochenendlaune, die Delegierten stehen auf den Fluren des Hotels herum, trinken Kaffee, einige auch schon Bier. Sie essen Schnitzel mit Kartoffelsalat oder Käsekuchen. An den Stehtischen außerhalb des Tagungssaals findet die eigentliche Aussprache statt, während Tagungspräsident Reinhard Führer ein Grußwort des nordrhein-westfälischen CDU-Landesvorsitzenden Jürgen Rüttgers verliest.

Niemand meckert öffentlich, nur im Smalltalk wird mehr oder weniger gutmütig über die Zusammensetzung des neuen Landesvorstands gelästert. Was wäre, fragt einer der Delegierten beim Kaffee, wenn Stölzl nicht wäre? Wen hätten wir sonst, der wirklich vorzeigbar wäre? Aber Stölzl ist da, und um halb zwei Uhr kommt auch die Chefin der Bundespartei, Angela Merkel. Diese beiden, Stölzl und Merkel, Schulter an Schulter – das ist das Foto des Tages. Im Blitzlichtgewitter wünscht sie Stölzl alles Gute. Die Bundespartei werde mit dem Landesverband „aufs Engste“ zusammenarbeiten.

Merkel redet eine Stunde, schimpft wie ein Rohrspatz über die Bundesregierung, denn in 120 Tagen ist Bundestagswahl. „Ich soll Sie ganz herzlich von Edmund Stoiber grüßen“, sagt sie noch und eilt wieder davon. Zuvor muss die Parteichefin aber noch erleben, wie Stölzls neue Generalsekretärin Verena Butalikakis denkbar knapp einer Abstimmungsniederlage entrinnt: mit nur 54,1 Prozent wird sie gewählt. Merkels heiteres Lächeln verschwindet, aber der neue Landeschef lässt sich die gute Laune nicht verderben. „Mehrheit ist Mehrheit“, sagt er nach dem Wahlgang. Ein Historiker findet eben immer ein Zitat, das passt. Dann sagt Günter Nooke, Vizefraktionschef der Union im Bundestag, die einige Tage zuvor angekündigte Kampfkandidatur um einen Vizeposten im CDU-Landesvorstand ab. Das wird fast gleichgültig zur Kenntnis genommen. Der Rest ist Routine. Am späten Nachmittag hat die Berliner CDU neues Führungspersonal.

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