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Berlin: Trotz Trennung von Amt und Mandat: Parteifreunde gehen davon aus, dass Renate Künast kandidiert

Auf der Rückfahrt, von Karlsruhe nach Berlin, haben sie im Zug nur noch herumgealbert. Zu allem anderen fehlte den Delegierten die Kraft, nach diesem Grünen-Bundesparteitag.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Auf der Rückfahrt, von Karlsruhe nach Berlin, haben sie im Zug nur noch herumgealbert. Zu allem anderen fehlte den Delegierten die Kraft, nach diesem Grünen-Bundesparteitag. Die entscheidende Frage an Renate Künast: "Kandidierst Du doch?", mochte am Sonntag keiner der Mitreisenden stellen. Sie wäre auch ohne Antwort geblieben. Und gestern tauchte die Spitzenfrau der Berliner Grünen erst einmal weg, erbat sich eine Auszeit, schwieg. Enge Parteifreunde gehen aber davon aus, dass die 44-jährige Justizpolitikerin, die seit 1985 - mit rotationsbedingten Unterbrechungen - im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, im Frühherbst Sprecherin der Bundes-Grünen werden will. Auch ohne Parlamentsmandat.

Vermutlich wird sich Renate Künast an die Frist halten, die ihr Mitbewerber Fritz Kuhn, Grünen-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, gesetzt hat. Eine Woche Bedenkzeit. Dann werden sich wohl beide gemeinsam äußern. Kuhn vielleicht sogar gegen die Kandidatur. Künast eher dafür. Wolfgang Wieland, der sieben Jahre ältere politische Weggefährte, der mit Künast die Landtags-Fraktion im Duo führt, hat schon eine feste Meinung: "Sie soll antreten, trotz der Trennung von Amt und Mandat." Der landespolitische Rahmen sei der Parteifreundin längst zu eng geworden. "Was soll sie länger in Parlamentsausschüssen herumsitzen und leiden... "

Das ist kein weit hergeholtes Argument, denn der Berliner Rechtspolitikerin hängt inzwischen das unvorteilhafte Image an, für interessante politische Ämter immer nur genannt, aber nie benannt zu werden. Bundesministerin wurde Andrea Fischer, nicht Renate Künast. EU-Kommissarin wurde Michaele Schreyer, nicht Renate Künast. In Schleswig-Holstein, so heißt es parteiintern, hätte man sie mit Kusshand zur Justizministerin im neuen Simonis-Kabinett gemacht. Aber schon wieder war das Timing miserabel. Jetzt heißt es also "entweder - oder". Für das Amt der Parteisprecherin kandidieren, auch unter ungünstigen Bedingungen, oder als Landespolitikerin der Grünen langsam austrudeln.

Tritt sie an, muss sie reisen, Präsenz zeigen, politische Seelenmassage betreiben, die Medienmeute dressieren. Es wird keine Zeit bleiben, als Rechtsanwältin in der Sozietät mit Ehrig & Wieland Geld zu verdienen. Es wird auch keine Zeit bleiben, in der Altenpflegeschule über juristische Fragen zu dozieren. Das Mandat müsste sie niederlegen zugunsten eines Schleudersitzes: Zwei Jahre Bundesvorstands-Sprecherin. Trotzdem macht auch der Berliner Grünen-Realo Michael Cramer der Parteifreundin Mut. "Die Partei steht nicht gut da, die braucht gute Leute an der Spitze." Das Votum für eine weitere Trennung von Amt und Mandat sei "keine Entscheidung gegen Personen" gewesen. Auch Cramer weiß nichts Genaues, nur: "Sie hat nach dem Parteitag nicht dezidiert gesagt, sie wolle nicht kandidieren."

Es sei gut und richtig, dass Renate Künast in Ruhe nachdenken wolle, sagt Regina Michalik, Landessprecherin der Berliner Grünen. "Wir werden sie nicht drängen." Das gilt auch für die Abgeordnetenhaus-Fraktion. "Sie kann gehen, sie kann bleiben. Wir sind auf beides eingestellt", heißt es dort. Am Mittwoch tagt der Landesausschuss, am Donnerstag der Vorstand, am Freitag die Landes- und Fraktionsführung gemeinsam. Bis dahin ist genügend Zeit, die Parteitagsbeschlüsse zu lesen und zu interpretieren. "Es sind Kompromisse; es ist nicht das Beste herausgekommen", sagt Michalik.

Der Grünen-Landesverband hatte im Vorfeld die Trennung von Amt und Mandat strikt abgelehnt, die Hermesbürgschaften für Atomkraftwerke schärfstens kritisiert, jedwede Panzerlieferungen ausgeschlossen und sich für eine Restlaufzeit für deutsche Atomkraftwerke von 25 Jahren ausgesprochen. Da kam der Bundesparteitag nicht mehr mit, und auch die etwa 50 Berliner Delegierten stimmten dem Vernehmen nach mehrheitlich anders ab, als die Landespartei politisch vorgab. Das galt natürlich nicht für die "Hardcore-Linken", wie sie im Parteijargon heißen. Aus Kreuzberg, Tiergarten und Wedding. Deren Anführer, der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, hatte auf dem Parteitag die Siegerfaust gen Himmel gestreckt, als klar war, dass der Bundesvorstand mit seinen Satzungsänderungen nicht durchkam. "Absurd, wie der sich verhalten hat", hieß es gestern im Berliner Landesverband. Aber die CDU-Spendenaffäre sei für Ströbele und dessen Anhänger eine ideale Steilvorlage gewesen.

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