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Berlin: Türkische Analphabeten: Viele Kinder türkischer Herkunft beherrschen ihre beide Sprachen nicht gut

Die zweisprachige Alphabetisierung der türkischen Schüler gerät immer mehr ins Abseits. Von 19 Schulen, die einst dieses Konzept anwandten, sind nur sieben geblieben.

Die zweisprachige Alphabetisierung der türkischen Schüler gerät immer mehr ins Abseits. Von 19 Schulen, die einst dieses Konzept anwandten, sind nur sieben geblieben. Zuletzt gab sogar die Kreuzberger Nürtingen-Grundschule auf, an der der bilinguale Ansatz vor 18 Jahren mit viel Enthusiasmus entwickelt wurde. Kurz zuvor hatte die Rosegger-Grundschule das Handtuch geworfen. Woran das Integrationskonzept scheitert, wird von Pädagogen und Politikern unterschiedlich bewertet. Zusätzliche Brisanz hat die Diskussion bekommen, seitdem in den USA der Staat Kalifornien die zweisprachige Erziehung abgeschafft hat.

"Die zweisprachige Erziehung hat die Hoffnungen nicht erfüllt", resümiert Kreuzbergs Schulrätin Hannelore Kern ihre 20-jährigen Erfahrungen. Einen Hauptgrund sieht sie im mangelnden Interesse auf türkischer Seite. Die Schulen hätten oftmals "hausieren gehen müssen", um ihre Klassen zu füllen. Die Resignation über die geringe Unterstützung durch die Eltern steckt bei vielen Schulen hinter der Entscheidung, die aufwendige Zweisprachigkeit aufzugeben. Viele türkische Familien ignorierten Hilfsangebote und versagten den Kindern jegliche Frühförderung.

"Wenn die Eltern nicht mitmachen, dann scheitern wir", hat Heidi Kölling, Leiterin der Kreuzberger Niederlausitz-Schule, inzwischen resigniert festgestellt. Auch ihr Kollegium habe sich für das Auslaufen des Modells entschieden, weil es "nicht mehr zu schaffen war". Die Deutschkenntnisse bei den türkischen Kindern würden sich nicht wie erhofft entwickeln, die deutschen Kinder im Unterricht "oft unterfordert". Die schwachen türkischen Kinder könnten weder Deutsch noch ihre Muttersprache.

Eine zugereiste Mutter aus Istanbul habe ihm jüngst gesagt, dass die hiesigen Türken "kein Türkisch" sprächen. Ganze Silben würden verschluckt, die verschiedenen Dialekte vermischt mit deutschen Bruchstücken, berichtet Gerd-Jürgen Busack, Leiter der Nürtingen-Grundschule. Es gebe "grauenhafte Entwicklungsrückstände". Während die erste Generation der Türken noch über feste Familienstrukturen verfügt habe, versage inzwischen die familiäre Sozialisation. Die Eltern würden mit ihren Kindern nicht spielen, ihnen keine Buntstifte geben, sie ständigem Fernsehgeflimmer aussetzen.

"Die Kinder kennen weder Farben und Formen, weder Stift noch Schere", bestätigt Schulrätin Kern. Auch Busacks bedrückende Bemerkung zur gesprochenen Sprache wird von vielen bestätigt. Eine "komische Entwicklung zur Mischmaschsprache" beobachtet Kazim Aydin, der Vorsitzende des Türkischen Elternvereins. Attila Turan, Türkischlehrer an der Kurt-Held-Grundschule, sieht vielerorts "Analphabetismus und einen sehr beschränkten Wortschatz". So hätten viele türkische Kinder weder türkische noch deutsche Worte für die unterschiedlichen Vogelarten: "Alle Vögel heißen Vogel".

Dennoch wollen Pädagogen wie Turan an der zweisprachigen Erziehung festhalten. Sie hätten in jedem Fall in der türkischen Sprache ein "Fundament, auf dem man aufbauen kann", betont Turan und wird darin von Kazim Aydin vehement unterstützt. Der Türkische Elternverein war denn auch fassungslos, als mit der Nürtingen-Schule ausgerechnet der Vorreiter der zweisprachigen Alphabetisierung das Konzept verwarf.

Ganz anders an der Rixdorfer Grundschule. "Wir haben mehr Nachfrage als Plätze und Erfolg", freut sich Schulleiterin Marion Berning, die auch darauf verweist, dass viele Kinder auf Gymnasien überwechselten. Geradezu euphorisch ist man an der Weddinger Trift-Grundschule. Hierher kämen Lehrer und Journalisten aus Texas, Frankreich, Ungarn und Südafrika, weil das Konzept als erfolgreich gelte, erzählt Lehrerin Ursula Rasch. Sie unterrichtet seit 27 Jahren türkische Kinder in Wedding, aber nie so "befriedigt und befriedigend" wie in den letzten neun Jahren. Sie ist Mitautorin einer Fibel für dieses Konzept und entwickelt gerade spezielle Arbeitsblätter. Besonders die Familien, in denen es einen türkischen und einen deutschen Ehepartner gebe, würden darauf "brennen", dass es weitergeht. Und es mache sowohl den deutschen als auch den türkischen Kindern Spaß, die beiden Sprachen zu vergleichen. Die zweisprachigen Klassen seien den einsprachigen "weit überlegen".

Dass sich die zweisprachige Erziehung dennoch nicht durchsetzen konnte, sieht sie auch in der mangelnden Unterstützung durch den Senat begründet, der lieber mit über 700 zusätzlichen Stellen den einsprachigen Deutschunterricht fördert. "Wir sind ein ungeliebtes Kind", so ihre Beoachtung. Es sei unterlassen worden, genügend Lehrer fortzubilden und mehr in der Elternschaft zu werben, auch seien die Ergebnisse nie systematisch verglichen worden.

Schul-Staatssekretär Thomas Härtel (SPD) bestreitet den Vorwurf der mangelnden Unterstützung und verweist darauf, dass im laufenden Schuljahr immerhin 28 zusätzliche Stellen dafür bewilligt worden seien. Er betont, dass die Schüler durch dieses Modell soziale Kompetenz gewännen und zusätzlich "Anerkennung ihrer kulturellen Identität" erführen. Deshalb halte der Senat daran fest. Die kalifornische Studie, die angeblich bessere Erfolge bei einsprachiger Erziehung belegte, und so das Verbot zweisprachigen Unterrichts zementierte, kennt er "nur aus der Presse". Für ihn sind die Berliner Erfahrungen maßgeblich.

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