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Johannes Schneider versucht sich am Saz-Spiel.

© Kitty Kleist-Heinrich

Türkische Musik: Ich kam, saz und spielte

Spracherwerb ist nicht alles. Auch musikalisch kann man einer Kultur näherkommen. Ein Selbstversuch auf Saiten

So richtig kompliziert wird es erst am nächsten Tag in der Redaktion. Beim Versuch, das einzuordnen, was ich zuvor an einem langen Nachmittag in Bülent Kilics Musikschule "Bildung Kultur Musik Zentrum e.V." (BKMZ) am U-Bahnhof Hallesches Tor an der türkischen Langhalslaute Bazlama gelernt habe, sind weder Fachliteratur noch musikwissenschaftlich versierte Kollegen sonderlich hilfreich. Berliner Landesmusikrat und Universität der Künste haben die Bağlama zum Instrument des Jahres 2013 erkoren. Wer sich mit ihr auseinandersetzt, verliert schnell den Überblick. Das beginnt schon bei der Frage, wie sie sich zur unter Nicht-Türken in Deutschland wohl deutlich bekannteren Saz positioniert. Sind Saz und Bağlama synonyme Begriffe? Oder meint Saz die Instrumentenfamilie, von der die Bağlama eine Unterart ist? Oder ist die Bağlama die kurzhalsige Schwester der Saz? Wie ist das überhaupt mit den vielen Stimmungen, kara düzeni, Bağlama düzeni undsofort, den Bordunen und Spieltechniken, den Epochen und Regionalstilen? Und wie ist das mit den Vierteltonschritten und Melismen, die die Musik für mitteleuropäische Ohren so "orientalisch" klingen lassen?

Die Noten - zunächst ein Rätsel

Rätselnd schaut der musikwissende Kollege auf das Blatt mit den Bağlama-Noten für das simple Volkslied "Ekin Ekilen Yere" (in etwa: Sät es, wo es gesät werden soll). Nein, dieses B-Vorzeichen mit dem Pfeil nach oben am Notenhals hat er noch nie gesehen. Das müsse etwas wie "näherungsweise" bedeuten - schließlich lasse sich die Musik orientalischer Barden eigentlich gar nicht in westlicher Notenschrift ausdrücken. Sehr kompliziert, das alles! Natürlich kann auch alles ganz einfach gehen, intuitiv. Bei Bülent Kilic zumal, 45 Jahre alt, ein molliger Schnauzbartpatriarch, dessen flummihafte Fortbewegungsweise und stetiges Zucken um die Augen zugleich den ruhelosen Macher verraten. Seit 22 Jahren arbeitet der studierte Musiklehrer aus Ankara in Berlin, seit 2006 hat er die eigene Musikschule, die heute in dem alten Postgebäude am Tempelhofer Ufer an der Ecke zum Mehringdamm sitzt, erste Etage, vis-à-vis des Bahnsteigs. 15 Lehrer unterrichten hier etwa 320 Schüler, neben Bağlama und anatolischer Flöte kann man unter anderem auch Klavier, Gitarre und Geige lernen.

Unter über 200 Bağlama-Schülern kein "Deutscher" - bisher

An diesem Dienstagnachmittag dringt Musik aus halb offenen Kursraumtüren in den großen Behördenflur, in dem Eltern und Großeltern auf ihre Kinder warten und Geschwister Hausaufgaben machen. In Kilics Büro gibt’s - natürlich - erst mal Tee. "Bittschön, wie kann ich helfen?" "In erster Linie möchte ich einfach mal ein bisschen Saz spielen." Ein Griff an die Schulter - schon geht’s samt Tee in den Anfängerkursraum, wo die französische Bağlama-Lehrerin Cécile L’Épée grad ihrer Schülerin Bahar Erim das Klagelied "Züleyha" beibringt. Schon hat der Chef eine der an der Wand hängenden Bağlama geangelt und ausgehändigt - "Ihr seid jetzt zu dritt: türkisch, französisch, deutsch. Voll multikulti." Und verschwindet.

Mit gitarristischen Vorkenntnissen ist alles kein Hexenwerk

So sind wir zu dritt und üben, und irgendwann schiebt Kilic noch ein kleines Mädchen im pinken Pulli in den Raum und freut sich: "Jetzt auch noch Kurden, super-multikulti!" Und dann üben wir weiter, und das klappt mit

"Züleyha" und "Ekin Ekilen Yere" auch alles erstaunlich gut. Denn zwar spricht L’Épée, 36, Musikethnologin von der Sorbonne, die erst vor einem Monat aus Abenteuerlust nach Berlin gezogen ist, weder so richtig deutsch oder türkisch, noch können die 44-jährige Kassiererin Bahar, die kleine Eslem und ich französisch. Doch mit gitarristischen Vorkenntnissen ist Bağlamaspielen auf Einsteigerniveau eh kein Hexenwerk. So wäre alles ganz harmonisch, wäre da nicht jenes Vorzeichen mit dem Pfeil nach oben, hinter dem sich ein Ton verbirgt, der für mein treudeutsches Ohr so gar nicht harmonisch klingt, sondern ziemlich dissonant, milde ausgedrückt: exotisch.

"Man muss es fühlen"

Womit alles nun wieder kompliziert zu werden beginnt - weil die eigentliche Frage ja nicht ist, ob sich ein Zupfinstrument von einem erfahrenen Zupfinstrumentalisten grundsätzlich bedienen lässt (funktioniert). Sondern, ob ich je werde nachvollziehen können, was die Bağlama für die bedeutet, die sich, nach ihr gefragt, aufs Herz klopfen und von "Heimat" und "Großeltern" und "Geborgenheit" erzählen, und von politischer Opposition, der Progressivität der Sänger und der Verwurzelung des Instruments vor allem bei der alewitischen Minderheit in der Türkei. Wie bitte soll man sich diesen Kulturschatz aufschließen? Bülent Kilic hat eine einfache Antwort: "Man muss es fühlen." Und dann erzählt er noch, dass unter seinen über 200 Bağlama-Schülern kein "Deutscher" ist. Bisher.

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