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Berlin: Türkische Tageszeitungen: Volkans Tod und die "Blackbox des Schicksals" - Ein Rückblick

Es verging kaum ein Tag in der vergangenen Woche, an dem das Bild des kleinen Volkan nicht auf der Titelseite der Tageszeitungen erschien. Der sechsjährige Junge wurde in Hamburg auf dem Schulhof von Kampfhunden totgebissen.

Es verging kaum ein Tag in der vergangenen Woche, an dem das Bild des kleinen Volkan nicht auf der Titelseite der Tageszeitungen erschien. Der sechsjährige Junge wurde in Hamburg auf dem Schulhof von Kampfhunden totgebissen. Der grausame Tod war Anlass für eine wahre Rarität. Die Schlagzeilen in den türkischen Tageszeitungen und der deutschen Boulevardpresse waren fast identisch. "Stoppt diese Brutalität" (Hürriyet und Milliyet), lautete einhellig die Forderung an Politiker.

Auch die Berichterstattung war fast identisch. Zum Beispiel berichteten die Blätter in den letzten Tagen auch darüber, dass die Tiere nun vermehrt ausgesetzt werden, nachdem Politker ein Verbot bestimmter Rassen angekündigt hatten. Allerdings haben die Blätter keine Bilder von diesen Rassen gezeigt, so wie es manche deutschprachige Zeitungen taten. Am Samstag war Volkan nur in den türkischen Zeitungen noch einmal auf den Titelseiten zu sehen. Am Tag zuvor wurde er im anatolischen Heimatort seiner Eltern beerdigt.

Das Thema dominierte in den Zeitungen sehr stark. Dennoch gab es noch andere Nachrichten, die interessant waren. Am Mittwoch forderten Türken aus Berlin und Brandenburg in der Milliyet den Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm zum Rücktritt auf. Die Zeitung hatte zwei Tage zuvor berichtet, dass er die Bestrebungen von einigen Wohnungsbaugesellschaften befürworte, den Ausländeranteil in Problembezirken zu reduzieren. Dazu zeigte die Milliyet die Köpfe von türkischen Unternehmern, die dies fordern. Darunter auch Remzi Kaplan, der Präsident der "Türkisch-Europäischen Dönervereinigung." Er wurde mit folgenden Worten zitiert: "Ich habe in Brandenburg eine Firma gegründet. Unter den 29 Beschäftigen sind auch Deutsche. Ich behaupte mal, dass ich für dieses Land von größerem Nutzen bin als der Innenminister. Auch wir sind die Bevölkerung. Ich kenne soviel türkische Unternehmer, die sich in Brandenburg niedergelassen haben. Wo sollen sie bleiben, wenn sie keine Wohnung finden?"

Eine andere Nachricht wurde ebenso wie in den deutschprachigen Zeitungen als Sensation präsentiert. "Große Enthüllung: Die Blackbox des Schicksals", schrieb die Hürriyet am Dienstag auf ihrer Titelseite. Auf sehr einfache Art erklärte das auflagenstarke Blatt die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms dem türkischen Volk, dass zum Teil noch extrem schicksalsgläubig ist. Genaugenommen hat die Hürriyet nicht das Wort "Schicksal" benutzt, sondern geschrieben: "Das, was auf der Stirn geschrieben steht", was in der Übesetzung "Schicksal" bedeutet.

Ob Krankheit, Armut oder ein prügelnder Ehemann: Bei allem glaubt das einfache Volk, dass dies unveränderlich ist, weil einem Menschen das Schicksal schon im Bauch der Mutter "auf der Stirn" geschrieben steht. Vielleicht wird diese Entdeckung auch ein Meilenstein in der Geschichte der Türken, denn die Hürriyet schrieb auch, "dass es nun möglich ist, das Schicksal mitzubestimmen." Auf einer Extraseite im Innenteil hieß es noch: "Beißt Eure Zähne zusammen. In 15 Jahren werdet ihr unsterblich." Auch andere Zeitungen berichteten über das bedeutende Ereignis sehr ausführlich.

Dass das "einfache Volk" sich auf anderen Gebieten bereits enorm weiter entwickelt, zeigt die Karikatur aus der Hürriyet. Längst greift der einzige Schreiber im Dorf nicht mehr zu Papier und Stift, wenn ihm etwas diktiert wird: "Dorfältester", sagt der alte Mann mit dem Laptop. "Mein Jüngster ist gerade beim Militär und hat mir eine E-Mail geschickt. Kannst du sie mir vorlesen?"

Suzan Gülfirat

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