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Berlin: Turnpause im Stelenfeld

Israels Außenminister besichtigte das Holocaust-Mahnmal. Danach war es wieder ein Spielplatz

Auf den Dächern in der Umgebung haben Präzisionsschützen Stellung bezogen. Unten am Boden sperren einige Polizisten und rot-weiße Absperrbänder Teile des Stelenfeldes ab. Am Holocaust-Mahnmal gilt Sicherheitsstufe 1. Der israelische Außenminister Silvan Shalom besichtigt das Kunstwerk Eisenmans und den Ort der Information. Der ermordeten Juden hat er zuvor mit einer Kranzniederlegung am Bahnhof Grunewald gedacht.

„Wir proben hier einen Balanceakt“, sagt der Einsatzleiter der Polizei. Wegen der hohen Gefährdungsstufe des Gastes würde er sich wünschen, den Ort für die Dauer des Ortsbesuchs ganz zu sperren. Einerseits. Andererseits soll die neue Mitte Berlins nicht jedes Mal komplett abgeriegelt werden, wenn hoher Besuch zum Mahnmal kommt. So sind an diesem Donnerstag der Eingang zum unterirdischen „Ort der Information“ und jener Teil des Stelenfeldes gesperrt, in dem sich Shalom bewegt. Sicherheitskräfte haben sich am Rand des Stelenfeldes postiert, in den Zufahrtstraßen sind Absperrgitter aufgebaut. Besucher können trotz des hohen Besuchs auf das Gelände kommen.

Nach knapp einer Stunde rollen die Beamten die rot-weißen Absperrbänder ein und ziehen die Beobachtungsteams ab. Der Besuch, so wird es später heißen, sei „ohne Vorkommnisse“ verlaufen.

Wegen des Turnfests sind an diesem Donnerstag schon sehr früh die ersten Gäste am Holocaust-Mahnmal. Einige sind enttäuscht, dass sie nicht in die Ausstellung kommen. Gegen Mittag gibt das Mahnmal ein Kontrastbild ab zu den gemessenen Schritten, mit denen der israelische Außenminister den Stelenwald durchmisst. Es wirkt wieder, wie schon in den vergangenen Tagen, als habe das Turnfest expandiert. Dutzende Kinder und Jugendliche hüpfen über die Betonquader. Etliche tragen Trainingsanzüge mit der Aufschrift ihres Vereins. Nicht wenige Besucher regt auf, dass Eltern, Lehrer oder Betreuer daneben stehen.

Zwei Männer und eine Frau, Mitte dreißig, mit erkennbar schwäbischem Akzent, sitzen auf einem der Betonquader am Rand. Die acht Jungs und Mädchen, die sie heute betreuen, spielen Fangen im Stelenwald. Einer der Ordner erklärt der Frau und den Kindern, dass das verboten sei. Die Frau schüttelt den Kopf und sagt: „Wir haben heute in der Zeitung gelesen, dass Wowereit das erlaubt. Welche Regel gilt denn jetzt?“ Ob sie mit den Kindern darüber gesprochen habe, was dieser Ort bedeuten soll? Sie sagt: „Nein. Ich wünsche mir, dass auch mal Gras über die Dinge wächst.“ Ein Sportlehrer aus Rheinland-Pfalz sagt: „Ich weiß ja selbst nicht, was dieses Trumm bedeutet. Wie soll ich das meinen Schülern erklären?“ Er ist mit 55 Schülern in Berlin, achte bis zehnte Klasse. Eines seiner Mädchen rutscht beim Springen über die Stelen ab und fällt in einen Gang. Die Schülerin trägt eine lange Schnittverletzung um den Mund davon. Sie wird von herbeigerufenen Sanitätern versorgt.

Deutschland, einig Turnerland? Susanne Mäule versteht das nicht. „Den Kindern kann man keinen Vorwurf machen“, sagt die 37-Jährige. „Aber von Eltern oder Betreuern kann man doch erwarten, mit den Kindern über den Ort und ein paar Benimmregeln zu sprechen.“ Erich Dreher sieht das ähnlich. Obwohl er mit 34 jungen Sportlern hier ist. Und einige von ihnen zugeben, dass sie die Stelen auch gerne beturnen würden.

Marc Neller

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