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Berlin: U-Bahn-Schubser hielt sich für Jesus

Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik behandelte den späteren Täter, behielt ihn jedoch nicht im Auge

Arkadius M. saß an jedem Verhandlungstag mit im Gerichtssaal. Im Rollstuhl und in Begleitung seiner Eltern. „Er wollte demjenigen ins Gesicht sehen, der seine Existenz so gnadenlos zu Grunde gerichtet hat“, sagte sein Anwalt im Plädoyer. Und durch den Prozess habe der 26-Jährige erfahren wollen, ob er selbst etwas falsch gemacht hatte. „Er weiß heute, es traf ihn zufällig, er hätte die Tat nicht verhindern können.“ Auch aus Sicht der Nebenklage ist der U-Bahn-Schubser ein psychisch kranker Mann. Die Staatsanwaltschaft beantragte gestern vor dem Landgericht die dauerhafte Unterbringung von Denis P. in einer psychiatrischen Klinik.

Der 25-jährige Denis P. war am 11. Dezember 2001 auf dem U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Platz von hinten an Arkadius M. herangetreten. Er schubste ihn vor eine einfahrende Bahn. Die beiden hatten sich nie zuvor gesehen und kein Wort gewechselt. Vier Waggons überrollten Arkadius M., damals Zeitsoldat der Bundeswehr. Seine linke Körperhälfte wurde zerfetzt, der frühere Geigenspieler verlor einen Arm, das linke Bein wurde ohne Knie wieder angenäht.

Denis P. sei aufgrund einer schizophrenen Psychose schuldunfähig gewesen, erklärte Staatsanwalt Michael von Hagen. Im Verfolgungswahn habe er den Sanitätssoldaten um Haaresbreite in den Tod gestürzt. Das gelte auch für einen Angriff mit einem Messer in einem Kaufhaus, bei dem P. einen zweijährigen Jungen leicht verletzt hatte und um den es in dem Prozess um Mord und Körperverletzung ebenfalls geht. Der gelernte Industriemechaniker sei in einer Klinik unterzubringen, weil ohne Behandlung die Gefahr ähnlicher schwerer Taten bestehe.

Bereits seit Anfang 2000 fühlte sich P. fremdgesteuert. Nach einem Angriff auf seinen Großvater hatte ihn seine Familie im März 2001 in die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik gebracht. Ein Gutachter sagte im Prozess, dass damals seine Krankheit erkannt worden sei. Doch ein Arzt im Praktikum habe P. nach zweiwöchigem Klinik-Aufenthalt entlassen und ihm eine ambulante Drogentherapie empfohlen. „Man hat nichts oder das Falsche gemacht“, sagte der Staatsanwalt.

Denis P. hatte die Taten zu Beginn des Prozesses eingestanden. Er habe sich für die „Wiedergeburt Jesu“ gehalten, sagte er. Die Menschen auf dem U-Bahnhof seien für ihn Teil einer Film-Inszenierung gewesen. „Es tut mir Leid“, sagte P. in seinem Schlusswort und starrte in Richtung des Opfers. Am kommenden Freitag wollen die Richter das Urteil verkünden.

Kerstin Gehrke

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