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Gegraben wird auf mehreren Feldern vor und in der Nähe des Roten Rathauses.

© Doris Klaas

U-Bahnlinie 5: Altes Rathaus bremst neue U-Bahn

Um die Überreste des gotischen Rathauses zu erhalten, soll ein Zugang verlegt werden. Die Verlängerung der U-Bahnlinie 5 wird voraussichtlich ein Jahr später fertig.

Die Tuchhalle des gotischen Rathauses, Skulpturen der Moderne, Münzen und Keramik – täglich bergen die Archäologen neue Schätze aus dem Märkischen Sand vor dem Roten Rathaus. In drei Wochen fallen Entscheidungen darüber, wie mit den Funden umgegangen wird. Am 21. Februar stellt die BVG ihrem Aufsichtsrat um Finanzsenator Ulrich Nußbaum zwei Alternativen zur ursprünglichen Planung für einen neuen U-Bahnhof auf der „Kanzlerlinie“ vor, nach der das mittelalterliche Bauwerk weggebaggert werden sollte. Dem Vernehmen nach wird der bisher vorgesehene südliche Zugang zu den Gleisen versetzt, um das historische Erbe zu retten. Die Keller der Patrizierhäuser dagegen fallen der Trasse wohl zum Opfer.

Experten zufolge können nur drei der vier Bauteile des Alten Rathauses erhalten bleiben, falls U-Bahn-Trasse und Bahnhof nicht grundsätzlich infrage gestellt werden sollen. Dies wird in den neuen Planungsvarianten nicht geschehen. Deshalb sollen auch die gut erhaltenen Keller der Patrizierhäuser sowie ein neu entdecktes mittelalterliches Haus auf der nördlichen Seite der Rathaus- und früheren Königsstraße den Baggern zum Opfer fallen. Dort waren Ende vergangenen Jahres ein Dutzend Skulpturen der Moderne entdeckt worden. Die Kunstwerke waren von den Nazis beschlagnahmt und in der Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ verfemt worden. Auf bisher ungeklärten Wegen waren sie aus NS-Depots in ein Haus an der Königsstraße 50 gelangt, wo sich auch die Kanzlei eines Regimegegners befunden hatte.

„Wir haben die Planung überarbeitet“, bestätigt Architekt Oliver Collignon. Er freue sich darüber, dass „Teile der archäologischen Funde erhalten bleiben können“. Unklar ist, ob sie hinter einem archäologischen Fenster sichtbar und zugänglich werden. Da U-Bahn-Röhre und Bahnsteig tiefer im Erdreich liegen als die Gemäuer aus dem 13. Jahrhundert, müssten die Fenster auf halbem Wege, etwa 3,5 Meter unter dem Pflaster geöffnet werden. Dort sieht der ursprüngliche Plan ohnehin eine Zwischenebene vor. Ob das Alte Rathaus „erlebbar und sichtbar gemacht werden kann“, so Collignon, sei letztlich eine Frage des Geldes.

Immerhin haben die Haushälter im Senat einen Weg entdeckt, die leidige Frage der Finanzierung zu umschiffen: Sie wollen auf die eingeplanten Reserven des 433 Millionen Euro teuren Baus zurückgreifen, der die U-Bahn vom Alexanderplatz zum Roten Rathaus und von dort zum Schloss und zum Brandenburger Tor führen soll. Elegant ist das, denn der Haushalt wird so erst mal nicht belastet. Aber es ist auch riskant: Kostspielige Komplikationen bei der Unterquerung der Spree, Ärger mit Baufirmen, Pannen oder Streiks darf es dann in den nächsten sieben bis acht Jahren nicht mehr geben – so lange baut die BVG an der Strecke.

Bis kurz vor das Rote Rathaus reichen die U-Bahn-Gleise schon seit 1920. Deshalb ist es einfach, hier einen Bahnhof zu bauen: „Grube auf, Bahnhof rein, Grube zu“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Züge vom Alexanderplatz würden heute schon auf den Gleisen kurz vor dem Rathaus rangiert. Deshalb sollte der Bahnhof „Berliner Rathaus“ nach früheren Planungen auch lange vor Eröffnung der ganzen Trasse in Betrieb gehen. Ob dies nun so kommt, ist ungewiss.

Zurzeit arbeiten die Ämter noch an dem Planungsänderungsverfahren für das Baufeld am Roten Rathaus und an einem weiteren für den Bahnhof Unter den Linden Ecke Friedrichstraße. Frühestens im zweiten Quartal sollen Beschlüsse fallen. Deshalb sagt die BVG voraus, dass die neue Trasse erst 2018 fertig werden kann, ein Jahr später, als bisher geplant. Der veränderte Zeitplan könnte auch den Archäologen am Alten Rathaus mehr Luft verschaffen. Doch der Senat drängt auf Einhaltung der Termine.

Während im Roten Rathaus um Termine und Kosten geschachert wird, treten vor der Tür immer wieder neue Schätze zutage: Ein Brunnen mitten im Keller des Alten Rathauses. „Wasser ist noch da, der Brunnen war nur mit Holz abgedeckt“, sagt Archäologe Bertram Faensen. Der Brunnen versorgte die Küche im Ratskeller. Zurzeit wird am zweiten Gebäudeteil des Alten Rathauses gearbeitet, sagt die Grabungsleiterin des Landesdenkmalamtes, Heike Kennecke. Die spektakulären Funde im ersten Teil waren vor Einbruch der Kälte gesichert und mit Sand zugeschüttet worden, damit der Frost nicht die Backsteine zersetzt. „Wir werden die Grabungen sicher nicht bis Ende März beenden können, das ist utopisch“, sagte Kennecke. Bisher ist unklar, ob die Archäologen vor dem Roten Rathaus danach noch arbeiten dürfen.

Dass so viele Funde an dieser Stelle gemacht wurden, überrascht den Stadthistoriker Benedikt Göbel nicht: „Das Alte Rathaus lag an der früheren Königsstraße und das war die herausragende Verkehrsachse des alten Berlin.“ Sie habe den Alexanderplatz mit dem Schlossplatz verbunden und den Stadtraum dort geprägt: An der Königsstraße, gegenüber vom Rathaus, standen die schönsten Häuser der einflussreichsten Händler und Würdenträger. Wenn man nur grabe, sagt Göbel, ist auf fast „jedem Quadratmeter“ mit Überraschungen zu rechnen.

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