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Berlin: Üben wie man anmutig eine Flugzeugmahlzeit in der Holzklasse hinter sich bringt

Am Anfang verweigerte mein Begleiter jeglichen Kommentar. Mit dem längsten aller blankenesischen Gesichter saß er an die Wand des In- und Kult-Restaurants Cibo Matto gepresst und amüsierte sich definitv nicht.

Am Anfang verweigerte mein Begleiter jeglichen Kommentar. Mit dem längsten aller blankenesischen Gesichter saß er an die Wand des In- und Kult-Restaurants Cibo Matto gepresst und amüsierte sich definitv nicht. Erst, als unsere Nachbarn zur Rechten den Aufstand probten gegen die Praxis des Hauses, Gäste partout auf Tuchfühlung zu platzieren, hellten sich seine Züge etwas auf: Gibt also auch noch andere vernünftige Menschen auf der Welt. Damit der Ober uns überhaupt an den für uns reservierten Tisch quetschen konnte, musste das Liebespaar zur Linken sich auseinander und (platzssparend!) einander gegenüber setzen. Das mache aber nichts, trösteten sie unsere bedauernden Blicke im reinsten Stuttgarterisch: "Wir wohnen schon länger zusammen."

Die Schwaben zur Rechten, die einfach zwei Tische zusammengeschoben hatten, um sich ein bisschen Luft zum Atmen zu erobern, verloren den Disput mit dem Kellner, der nunmehr triumphierend mit einigen Fernsehleuten aus dem Ruhrgebiet anmarschierte und (drücken!) die auch noch auf Tischlinie brachte. Mein Begleiter hatte seine Sprache mittlerweile wiedergefunden, wenn auch ein wenig rudimentär, ich vernahm Wortfetzen wie "Mensa" und "geklonte Kneipen".

Inzwischen standen Campari (9 DM), Prosecco (6 DM) und gutes Olivenbrot auf dem Tisch, was zumindest meine Laune deutlich besserte; die Aufständlerischen hatten die Schlacht um Freiraum zwar verloren, aber dabei neue Bekannte und Verbündete am anderen Ende des Tisches gefunden. Wahrscheinlich gehört das zum Konzept des Hauses: stieselige Preußen und andere Deutsche in eine kommunikative Kondition zu versetzen. Die Karte versucht sich windschnittig, indem sie etwa Pizzen in "weiß" (z.B. mit Spargelcreme) oder klassisch "rot" aufteilt. Das Ruhrgebiet am Nachbartisch hätte sich sicher über eine Pizza "Schranke" gefreut, aber die gab es nicht.

Dafür bestand der Klassiker Melone mit Schinken aus sehr ordentlichen Zutaten und war zudem mit Orangenblütenhonig etwas aufgebrezelt (16,50 DM). Zum bäuerlichen Klassiker aus grünem Salat, Birnenscheiben, Taleggio und Walnüssen gab es nicht die Spur eines Dressings, das musste aus den riesigen Flaschen, die viel Platz auf dem winzigen Tisch in Anspruch nahmen, erst einmal zusammengekippt werden (13,50 DM). Wer üben will, wie man anmutig eine Flugzeugmahlzeit in der Holzklasse hinter sich bringt, ist hier genau am rechten Platz.

In der Zwischenzeit hatten sich die Verliebten zur Linken als Stammgäste geoutet. Für sie sei das hier einfach dienstleistungsmäßig das Tollste in der Gegend. Meinem Begleiter blieb ein Weilchen der Mund offen stehen, und auch als die beiden sich längst verabschiedet hatten, rätselte er noch darüber, was so ein nettes junges Paar nur auf solche Irrwege leiten könne. Anderthalb Sekunden, nachdem die Liebesleute aufegstanden waren, tauchten weitere Fernsehleute aus dem Ruhrgebiet auf, weshalb wir auf die Plätze der beiden rückten, damit das Ruhrgebiet nunmehr zusammensitzen konnte. Als Dankeschön bot mir der Neuankömmling später seine BZ zur Lektüre an.

Unser Tokai aus dem Friaul, keineswegs zu kühl serviert, neigte sich bereits dem Ende zu, was bei dem ganzen Stress ja auch kein Wunder war (36 DM). Kaum blieb Zeit, die auffälligen Lampen zu begutachten, die kalten Glasbausteine, die dicken Wachsblöcke mit brennenden Dochten drin, in die ich, von Rachsucht für erlittene Unbequemlichkeit getrieben, ein paar Graffiti einritzte.

Das ist ja ein echtes Problem: Ein dermaßen angesagtes Lokal läuft natürlich dauernd Gefahr, aus der Vereinigung der In- und Kult-Restaurants ausgeschlossen zu werden, sobald ein Hauch von Gemütlichkeit einzieht oder das Essen von einem Menschen mit sensiblen Geschmacksnerven als "passabel" bezeichnet wird. Letzteres ist unter diesem Gesichtspunkt als Schwachpunkt zu werten; denn die Pasta war wirklich äußerst passabel. Das gilt sowohl für die Fettucine Profumo di bosco, Bandnudeln mit Waldaroma in einer Sauce mit vielen Pilzen, Trüffelöl und Käse (21,50 DM). Es gilt aber auch für die Kakaonudeln. So schokoladig braune, süße Nudeln sind ja eher was für Kinder, hier waren sie mit Hirschragout gemischt und (angeblich) getrüffelten Steinpilzen. Egal wie, das schmeckte alles ganz gut (24,50 DM). Das venezianische Zitronensorbet zum Abschluss hingegen machte seiner Patentante keine Ehre und gab sich eher wie flüssiger Zitronenpudding, serviert im Proseccoglas mit schwarzem Strohhalm.

Was treibt die Leute dort in Massen hin? Vielleicht ist es die Suche nach Nähe, aber, ehrlich gesagt, so ganz genau weiß ich es auch nicht. Mein Begleiter immerhin ließ am Schluss doch noch ein Lächeln sehen: Als er den gescheiterten Revolutionären am Nachbartisch zum Abschied zunickte.Cibo Matto: Rosenthaler Str. 44, Mitte, Tel. 283 85170, geöffnet täglich ab 9 Uhr

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