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Berlin: Über den Zaun: Was die Besetzer wollen

Bei öffentlichen Auftritten gilt das Rotationsprinzip. Niemand aus der „Gruppe“ soll sich profilieren.

Bei öffentlichen Auftritten gilt das Rotationsprinzip. Niemand aus der „Gruppe“ soll sich profilieren. Das ist linke Tradition. Aber sie machen vieles anders als beispielsweise die Autonomen der 80er Jahre, die heute ihre Väter sein könnten. Sie agieren offen, zeigen Gesicht, wollen sich nicht der „Paranoia“ unterwerfen, überall könnten Polizeispitzel lauern. Deshalb gibt es Fotos von den Aktivisten, die heute den Flughafen Tempelhof besetzen wollen. Diesmal darf Stefanie vom Organisationsteam vor die Kamera, Charlie war schon zu oft in der Zeitung. Stefanie ist 24 und studiert Politikwissenschaften an der FU.

Das Vokabular fortgeschrittener Gesellschaftsanalyse sprudelt wie selbstverständlich aus ihrem Mund. Der „Prozess der Gentrifizierung“ sei keine naturgegebene Entwicklung, die Bürgerbeteiligung zu Tempelhof sei „intransparent“ und die „kommerzialisierte Stadtentwicklungspolitik“ führe zu sozialen Spaltungen. Stefanie erzählt von Bremen, wo sie in einem Akademikerviertel aufwuchs, obwohl ihre Familie, am Einkommen gemessen, in eine Arbeitergegend gepasst hätte. Weil sie nun mit den Kindern bildungsbeflissener Eltern auf die Schule ging, entwickelte sie einen ähnlich großen Bildungshunger. Wäre sie im Arbeiterviertel aufgewachsen, würde sie jetzt nicht studieren, glaubt Stefanie. Deshalb sei ihr „soziale Durchmischung“ so wichtig. Nur so erreiche man Chancengleichheit.

Charlie, 25, ist sparsamer in der Preisgabe persönlicher Wegmarken. Er studiere Lehramt, Englisch und Geschichte, engagiere sich seit langem in „Hausprojekten“, komme aus Prenzlauer Berg und musste wegen steigender Mieten wegziehen. Jetzt wohnt er im sozial prekären Schillerkiez, Neukölln, mitten in der ehemaligen Einflugschneise. Hier, so befürchten die Aktivisten, könnte es nach der geplanten Bebauung von Teilen der Flughafenwiese zur Verdrängung der Alteingesessenen, der Gentrifizierung, kommen.

Rein äußerlich heben sich Stefanie und Charlie kaum aus ihrer Generation heraus. Sie trägt einen Glitzerstein an der Nase, ein schwarzes Top samt modischer Kette. Charlie lässt einen senkrechten Bartstreifen am Kinn wachsen, ein kleines Horn stößt durch sein Ohrläppchen und auf seinen Schultern lastet eine trendige Adidas-Jacke. Abgrenzungen sind nicht ihr Ding, deshalb soll der Flughafenzaun ja verschwinden. „Die Wiese gehört den Berlinern“, sagt Stefanie. Im Internet präsentieren sich angehende Besetzer mit Schafmasken. Schafe haben auf der Wiese eine lange Tradition, aber Charlie ist dafür nicht zu gewinnen. „Ich bin Veganer. Von Tieren in Gefangenschaft halte ich nichts.“ Thomas Loy

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