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© Kitty Kleist-Heinrich

Überall Beton und Stahl: Berliner Poller-Koller

Sie sperren Gebäude, säumen Bordsteinkanten, Radwege und Parks. Berlin trägt eine neue Mode: Pfähle und Klötze aus Stahl und Beton.

Die Tage und Stunden verrinnen, und das Zählen hört noch immer nicht auf: 8267, 8268, 8269 ... Dabei ist erst ein Bruchteil des Bezirks Mitte abgeklappert. Da hinten noch einer, der Achttausendzweihundertsiebzigste. Jetzt erst mal auf die Bank setzen, ausruhen, sich sammeln. Diese Zählerei ist anstrengend, sie nervt. Aber die Neugier ist größer als alle Vernunft. Es geht um ein Phänomen, das macht sich an Straßenrändern, Radfahrwegen, Bordsteinkanten und lauschigen Plätzchen breit wie die Miniermotte an Kastanienbäumen. Es ist wie eine Seuche, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Es hat einen Namen: Poller.

Da kommen plötzlich ein paar vierschrötige Männer in deine Straße, greifen zur Schaufel, reißen das Pflaster auf, schmeißen die Gehwegplatten beiseite – und rammen einen Stahlpfahl nach dem anderen ins städtische Gedärm. Das tut weh. Und morgen zieht sie weiter, die Poller-Karawane, den Poller-Koller im Kopf und die Polleritis im Blut. Berlin ist im Begriff, eingepollert zu werden. Der Song dazu könnte so gehen: „Ein Poller steht am Straßenrand / sein Sinn ist ziemlich unbekannt. Der Phallus im Verkehrsgewühl / Erweckt ein geiles Triebgefühl.“

Wer mit sensiblem Blick durch die Stadt geht, wird Erstaunliches entdecken. Es gibt mindestens ein Dutzend Pollerformen. Und es werden immer mehr. Die Dinger stehen oft so eng, dass sie Fußgänger und Radfahrer gefährlich ausbremsen, von geh- und sehbehinderten Menschen ganz zu schweigen. Die nehmen die grauen Pflöcke erst wahr, wenn sie heftig dagegenstoßen. In der Potsdamer Straße, am Kollwitzplatz, in Mitte, am Hauptbahnhof und so weiter.

Die Ferraris unter den Pollern stehen nicht wie städtische Gartenzwerge im Verkehrswesen herum, sondern bewachen Botschaften, leuchten durch die Nacht (wie in der Wilhelmstraße an der British Embassy) oder sind versenkbar (weil der US-Botschafter in sein Büro oder der Omnibus in die Köpenicker Altstadt rollen können muss). Die Bundesministerien igeln sich hinter stählernen Ungetümen ein, hier könnten durchaus Containerschiffe mit Akten anlegen, denn Poller sind eigentlich dazu da, dass Schiffe an ihnen festgemacht werden.

Im Straßenverkehrsbild tauchen mehr und mehr „City-Poller“ auf, der Berlin-Trend geht in Richtung Edelstahl mit sportiver Eleganz, leicht historisierend verschnörkelt und verformt. In einem Online-Shop kann sich jeder bedienen, im Angebot ist der anspruchsvolle Poller, langlebig und zeitlos repräsentativ, edel im Material und in den Proportionen. Ein kraftvoller Poller hat 108 Millimeter Durchmesser, aber es sind auch schlankere Varianten mit 60 oder 76 mm im Angebot, Preis ca. 173 Euro, zum Aufdübeln mit Bodenplatte 218 Euro.

Der Eindruck, dass die Bezirke Steuergelder verschleudern, indem sie immer mehr freie Straßenränder zupollern, trügt nicht. Die Poller-Aktivisten misstrauen den ungeliebten, aber nun einmal vorhandenen Autofahrern, weil die sich frech auf dem Bürgersteig breitmachen. Denn das ist der Grund für die Pollerei: „Poller sind dazu da, dass keine Fahrzeuge auf die Gehwege gestellt werden“, sagt Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Grüne), der Pankower Bezirksstadtrat für öffentliche Ordnung. Die Parkraumnot sei groß, auf 1000 Einwohner kommen 318 Autos. Wohin damit? Zur Not auf den Bürgersteig. Poller seien quasi der letzte Versuch, Räume für Fußgänger zurückzuerobern. Wenn die Autofahrer legal parkten, dann gäbe es das Problem nicht, aber sie stellen sich vor Einfahrten und nehmen auf Bürgersteigen den Fußgängern den Platz weg. „Poller sind nicht schön, aber notwendig“, sagt der Stadtrat. „Ich bin kein Freund von diesen Dingern, aber wir haben keine besseren Ideen.“

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