zum Hauptinhalt

Übergriffe gegen Lehrer: Gewalt an Schulen: Zeit für Entrüstung

Binnen einer Woche kam es allein in Berlin gleich zweimal zu gewalttätigen Übergriffen an Schulen. Was lässt sich gegen dieses Problem tun?

Ein 14-jähriger Schüler lässt den Konrektor seiner Spandauer Schule von zwei älteren Jugendlichen am vergangenen Mittwoch aus Rache zusammenschlagen. Ein 16-Jähriger wird von einem Klassenkameraden beim Weihnachtsfest seiner Schule am Freitag mit dem Messer schwer verletzt – zwei Fälle von brutaler Gewalt innerhalb weniger Tage an Berliner Schulen. Doch es vergeht auch kaum ein Tag auf Pausenhöfen und in Klassenzimmern ohne kleinere Übergriffe, die nicht gleich in die Schlagzeilen geraten. Halbwüchsige gehen mit Schimpfworten auf Lehrer los, bedrohen sich gegenseitig auf dem Pausenhof.

Nimmt die Gewalt an Berlins Schulen besorgniserregend zu?

Die Antwort ist umstritten. Nach den jüngsten Statistiken hat sich die Zahl der Angriffe auf Lehrer an Berliner Schulen von 60 Fällen im Jahr 2000 bis 2006/07 mehr als verdreifacht. Und die Gesamtzahl der Übergriffe auf Schüler und Lehrer stieg vom Schuljahr 2005/06 zum Jahr 2006/07 um zehn Prozent auf 1735 Vorfälle. Dennoch warnen Experten wie der Berliner Schulpsychologe vom Berufsverband Deutscher Psychologen, Klaus Seifried, vor einer „Dramatisierung der Situation“. Die steigenden Zahlen würden „ganz stark“ mit dem „geschärften Bewusstsein gegenüber Gewalt“ an den Schulen zusammenhängen, heißt es. „Seit einigen Jahren werden Vorfälle einfach öfter gemeldet“, bestätigt auch die Schulverwaltung, zumal es seit 2003 ein geregeltes Meldeverfahren gebe.

Was allerdings aus Sicht vieler Experten tatsächlich zugenommen hat, ist das Ausmaß an Brutalität. Wenn es zum handfesten Streit kommt, werde gleich das Messer gezückt. Das bestätigt auch Ulf Rödde von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): „Gewalt hat nicht signifikant zugenommen“, sagt er. „ Aber die Taten sind härter geworden.“ Immer mehr Kindern fehle eine Hemmschwelle. „Früher hat man bei einem Faustkampf einen am Boden Liegenden nicht noch einmal zusätzlich in den Bauch getreten.“

Was tun die Schulen zur Gewaltprävention?

„Wer Gewalt erfolgreich vorbeugen will, muss ein möglichst breites Netzwerk innerhalb der Schule und im Kiez schaffen“, heißt es in den Broschüren zur Gewaltprävention der Berliner Schulverwaltung. „Lehrer, Schüler, Eltern, Schulpsychologen, Polizei und Vereine müssen dafür eng zusammenarbeiten.“ Diese Koordination klappe in Berlin und anderen Großstädten schon wesentlich besser als auf dem Lande, stellt der Berufsverband Deutscher Psychologen und Schulpsychologen fest.

Die wichtigste Rolle haben bei alledem die Klassen- und Fachlehrer, weshalb es für sie inzwischen zahlreiche Fortbildungsangebote gibt. Sie bestimmen den Umgangston und sollen soziales Verhalten fördern, indem sie Vertrauen schaffen und die Schüler dazu bringen, „Bindungen aufzubauen, die Würde anderer Menschen zu achten – aber auch Autoritäten zu akzeptieren“, sagt Schulpsychologe Klaus Seifried. Manche Berliner Schulen in sozialen Problemvierteln haben diese Ziele sogar in einem Verhaltenskodex zusammengefasst, den alle Schüler unterschreiben müssen, damit sie sich entsprechend verpflichtet fühlen. Wichtigster Punkt ist dabei: „Null Toleranz gegenüber Gewalt“. Dieses Ziel sollen auch die an 200 Berliner Schulen ausgebildeten Konfliktlotsen durchsetzen. Dabei lernen Schüler, wie man Streitigkeiten friedlich lösen kann, und greifen danach auf dem Pausenhof ein, wenn Mitschüler aneinandergeraten.

Zusätzlich gründen immer mehr Schulen sportliche Schülermannschaften, um die Identifikation mit der eigenen Schule und dem Kiez zu fördern, außerdem gibt es enge Kooperationen mit Immigrantenverbänden. Und bei alledem werden die Kollegien von Präventionsbeauftragten ihres Polizeiabschnitts beraten sowie vom Schulpsychologen ihres jeweiligen Bezirks. Deren Möglichkeiten sind allerdings begrenzt, denn jeder Berliner Bezirk hat nur einen Schulpsychologen. Berlin brauche vor allem mehr muttersprachliche Psychologen und Sozialarbeiter, sagen Experten. Angesichts von rund 30 Prozent Schülern mit Migrationshintergrund scheiterten ansonsten viele Bemühungen an Verständnisbarrieren.

Wie hilfreich sind Wachschützer an Schulen?

Nach mehreren Gewaltvorfällen in Neukölln hat der Berliner Bezirk vor einem Jahr ein Pilotprojekt gestartet. Seitdem stehen vor 16 von 68 Schulen Wachschützer. Je zwei Wachleute einer Sicherheitsfirma sollen vor allem Schulfremde fernhalten. Denn die damaligen Gewaltvorfälle hatten eines gemeinsam: Die Angreifer, die es auf Lehrer oder Schüler abgesehen hatten, kamen nicht von der jeweiligen Schule, sondern von außen. Der Bildungsstadtrat des Bezirks, Wolfgang Schimmang (SPD), zieht heute eine positive Bilanz: „Alle beteiligten Schulen haben erklärt, dass sie zufrieden sind.“ Im Vorfeld war das Projekt noch stark kritisiert worden. So hatte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) von „paramilitärischen Einheiten“ am Schultor gesprochen. Für die Neuköllner Schulleiter hat es sich indes bewährt. Seit die Wachschützer da sind, sind die Probleme mit Schulfremden verschwunden. In den zwei Jahren zuvor hatten Schulfremde noch 56 Gewalttaten verübt. Aber die Sicherheitsleute schützen nicht nur das Schultor. Sie kennen auch die Stundenpläne der Schüler – und bekommen mit, wenn einer schwänzt und stattdessen lieber bummeln geht.

Es gibt aber auch kritische Stimmen. Andere Bezirke sehen das Problem mit Wachschützern „nur vordergründig gelöst“. Stattdessen will man dort die Gewaltprävention weiter verstärken.

Was machen andere Länder?

„Überall auf der Welt sind die Lehrerverbände über vermehrte Gewalt an Schulen besorgt“, sagt Nancy Knickerbocker von Education International, dem internationalen Lehrerverband in Brüssel. Die Lehrer seien sich einig, dass niemand in einem gewalttätigen Umfeld lernen könne, und versuchten daher, professionelle Programme zur Konfliktlösung zu entwickeln. Knickerbocker betont allerdings auch, dass wachsende Gewaltbereitschaft von Schülern nicht allein eine Herausforderung für die Lehrer sei. Die Schule könne das Problem alleine nicht lösen. Auch die Eltern der Kinder und Jugendlichen müssten mitwirken. Metalldetektoren an Schuleingängen aufzustellen, wie es Großbritannien und die Vereinigten Staaten praktizieren, hält Knickerbocker jedoch für das allerletzte Mittel. „Vorher sollte man versuchen, an den Verhaltensweisen zu arbeiten.“

Vorbildlich geschieht das aus Sicht vieler Experten in den skandinavischen Ländern. Denn dort werden erheblich mehr Sozialarbeiter und Psychologen präventiv eingesetzt als in Deutschland. So ist in der finnischen Hauptstadt Helsinki beispielsweise jeweils ein Psychologe für 800 Schüler zuständig. Seine Berliner Kollegen müssen dagegen jeweils 5000 Schüler betreuen.

Was geschieht mit den jungen Tätern?

Im Fall des vorläufig suspendierten Spandauer Schülers entscheidet die Schulkonferenz, ob er nach den Ferien zu einer anderen Schule verwiesen wird oder bleiben darf. Daran nehmen Lehrer, Eltern- und Schülervertreter teil, der Rektor und ein unabhängiges Mitglied. Für einen Verweis könnte sprechen, „dass einem Opfer die weitere Anwesenheit des Täters nicht zuzumuten ist“, heißt es beim Schulsenator. Dann müsste der 14-Jährige auf eine vergleichbare Schule wechseln. Zusätzlich wird er wohl verpflichtet, an Anti-Gewalt-Workshops für schwierige Jugendliche teilzunehmen, wie sie die Freie Universität (FU) mit dem Titel „Denkzeit“ anbietet. Gesonderte Klassen für gewaltbereite Jugendliche will die Schulverwaltung nicht einrichten. „ Isolation würde alles nur verschlimmern.“

Wer hilft den Opfern?

Den Opfern hilft zuallererst der Schulpsychologische Dienst ihres Bezirks. Er bietet Therapien und andere Unterstützungen an, um die traumatische Erfahrung zu verarbeiten. Juristischen Beistand erhalten Lehrer von ihrer Gewerkschaft.

Zur Startseite