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Berlin: Übermaler Der

Michael Sowa ist Perfektionist, nie ist ihm etwas gut genug. Am liebsten würde er noch an gedruckten Werken manches verbessern – mit zuweilen kuriosen Folgen.

Als ich hörte, der Tagesspiegel habe eine Kladde mit Schüler-Zeichnungen von Michael Sowa entdeckt, war mein erster Gedanke: Hoffentlich haben sie ihm die nicht ausgehändigt. Und wenn doch, bitte, mach’, dass sie alles vorher kopiert haben!

Denn der Kenner Sowas weiß: Wenn dieser Mann ein Bild in die Hand bekommt, das er vor längerer Zeit gemalt hat, wird er es betrachten, und es wird ihm nicht gefallen. Irgendeinen Fehler wird er entdecken, ein Blatt an einem Baum wird nicht ausreichend in der Sonne glänzen, eine Wolke nicht wolkenförmig genug sein. Etwas findet er immer.

Vor einer Weile hat ein Sammler ihm ein Bild überlassen, das eine kleine beschädigte Stelle hatte, die Michael ausbessern wollte. Aber er merkte dann bei der Arbeit, dass ihm die auf dem Bild zu sehenden Meereswellen nicht recht gefielen. Also begann er, daran zu arbeiten – und wenn das Schicksal es will, bekommt der Sammler ein anderes Werk zurück.

Denn Sowa ist nicht bloß ein Maler, er ist ein Übermaler. Er beginnt mit einer Wellenreparatur, ist aber dann nicht mehr zu halten, malt und malt. Plötzlich ist das eigentliche Bild nur noch eine Schicht unter einem ganz anderen Werk. Und für das Ur-Bild benötigt man einen Röntgenapparat.

Ich weiß, wovon ich rede. In Hackes Tierleben gibt es einen wunderschönen Sowa, auf dem Menschen, an einem Flusse sitzend, Giraffen aus Büchern vorlesen. Dieses Ensemble erbat sich unser Mann unter einem Vorwand zurück. Er malte dann andere Menschen mit anderen Giraffen und anderen Büchern darüber, so dass das ursprüngliche Bild nur noch als Bild unter dem Bild existiert, ein seltsames Schicksal, nicht wahr? Ist ein Bild, das man nicht sehen kann, überhaupt ein Bild? Das lappt ins Philosophische.

Sowa ist Perfektionist. Nie ist ihm etwas gut genug. Für Antje Kunstmann, unsere Verlegerin, hat er vor Jahren ein Werbeplakat gemalt. Gott sei Dank hat sie das Werk fotografieren lassen, nutzte es auch jahrelang für ihre Zwecke – bloß das Original liegt nun schon lange in Sowas Atelier. Es ist ein Teppich darauf zu sehen, an dem etwas verbessert werden muss.

Am liebsten würde er noch in den Buchhandlungen, ja, bei den Lesern daheim an seinen Bildern arbeiten. In den bereits gedruckten Büchern Verbesserungen anbringen.

Ich bestaune und bewundere das. Und ich preise den Tag, an dem ich ihn kennenlernte und wir mit der Arbeit an „Der kleine König Dezember“ begannen: Wie schön war es, als ich den König, den ich mir ausgedacht hatte, auf seinen Bildern sah. Er war genau so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte!

Wo gibt es in diesen flüchtigen Zeiten eine solche Unerbittlichkeit, was die Qualität der eigenen Arbeit angeht? Michael hat Jahre gebraucht, um mit seinem wunderbaren Kinderbuch „Stinkheim am Arschberg“ überhaupt zu beginnen. Denn natürlich hat sein Qualitäts-Anspruch etwas Hemmendes, bisweilen wohl auch ihn selbst Einschüchterndes. Weshalb Sowa mit seiner Arbeit grundsätzlich stets in Verzug ist. Ein Telefonat mit ihm beginnt auf die Frage, wie es ihm gehe, immer mit dem Satz: „Ach, diese Woche ist wieder so was von furchtbar, lauter Sachen, die ich letzte Woche schon hätte abgeben müssen ...“

Am Text für Stinkheim hat er jedenfalls noch auf dem Weg zum Verlag in München geschrieben, im Zug schrieb er mit der Hand auf Papier, schrieb noch im Verlag weiter, dann zu Hause bei Antje Kunstmann. Und plötzlich, morgens? War alles weg. Nicht aufzufinden. Von der Putzfrau weggeworfen? Von ihm selbst entsorgt, in einem unbewussten Akt?

Das ist bis heute unklar.

Sowa suchte und suchte. Er landete dabei schließlich im Hinterhof des Hauses, beim Altpapiercontainer. Vor dem stapelte er einige Gehwegplatten auf, um hineinzuklettern. Als er schließlich grabend im Altpapier hockte, rollte das blaue Behältnis mit ihm selbst einige Meter bergab, und unser Mann sah sich der Gefahr ausgesetzt, selbst entsorgt und recycelt zu werden. Er gab deshalb die Suche auf, schaffte es, den Rollcontainer an einer Wand entlang mit der Kraft seiner Arme zum Gehwegplattenstapel zurückzuzerren, entstieg dem Papier und schrieb alles neu.

Das war im vergangenen Jahr. Gerade wird im Verlag die zweite Auflage vorbereitet. Sowa übermalt schon die Bilder dafür.

Axel Hacke

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