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Berlin: Überverkürzt

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Klar, dass die Schuldenlast der Stadt unsere Politiker bedrückt oder jedenfalls ständig beschäftigt. Auf die nächste Generation werde „ohnehin der milliardenschwere Schuldenberg übergewälzt“, las ich in einem Antrag der Grünen-Fraktion des Abgeordnetenhauses.

Du liebe Güte, das klingt ja direkt nach Weltuntergang. Stellen wir uns lieber nicht bildlich vor, wie sich ein gewaltiger Berg über eine ganze Generation wälzt und sie unter sich begräbt. Doch keine Sorge, niemals wird irgendjemandem ein Berg übergewälzt. Diese Verbform gibt es nämlich überhaupt nicht. Allerdings wird wohl auch noch die nächste Generation damit zu tun haben, den Schuldenberg abzutragen. Überwälzen bedeutet also nicht überrollen, sondern abwälzen, anderen etwas aufbürden, eine Last an andere weitergeben. Die Mehrausgaben wurden auf den nächsten Etat überwälzt. Die Kosten wurden auf die Gemeinden überwälzt. Und ein Teil der Schulden wird auf die nächste Generation überwälzt, nicht etwa übergewälzt.

Der große Regen hat ja auch nicht die Straße übergeschwemmt, sondern überschwemmt. Andererseits heißt es sprachlich richtig: Dieser und jener Politiker ist zu einer anderen Partei übergewechselt. Otto Schily zum Beispiel ist einst von den Grünen zur SPD übergetreten, womit er kein Gesetz übertreten hat. Der Verbrecher wurde des Mordes überführt. Aber: Der Patient wurde in eine Spezialklinik überführt oder übergeführt; hier kann man laut Duden beides sagen. Es ist eben so eine Sache mit der Konjugation bestimmter Verben, man muss aufpassen.

Nun sind viele Verben von Substantiven abgeleitet und umgekehrt. Doch manche Ableitungen sind nichts als schlechtes Deutsch, wenngleich der Duden solche Unwörter aufgenommen hat, weil sie gang und gäbe sind. So hört man ständig in unbekümmertem Denglisch, dass sich jemand Daten aus dem Internet downgeloadet (heruntergeladen) hat.

Für Bauvorhaben ist ein Planfeststellungsbeschluss notwendig. Schon wird aus dem Planfeststellungsverfahren das Verb planfeststellen. Bei dieser Verkürzung müsste sich der Mund zusammenziehen wie nach dem Biss in eine Zitrone. „Der Senat wird aufgefordert, unverzüglich mit dem Neubau der bereits planfestgestellten Neubaustrecke der Straßenbahn zwischen S-Bahnhof Adlershof und der Wissenschaftsstadt Adlershof zu beginnen. Darüber hinaus ist die Verlängerung der Trasse bis zum Zwickauer Damm planfestzustellen und zügig zu realisieren“, forderten die Grünen. Beachtlich, mit wie vielen Worten man Wesentliches bis zur Entstellung verkürzen kann.

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