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Berlin: Um jeden kämpfen

Obdachlosenärztin De la Torre predigte in der Lutherkirche

In der Kirche auf dem Spandauer Lutherplatz hängen Blumenkästen an Wohnzimmerfenstern. Neun Sozialwohnungen sind in die für die Gemeinde zu groß gewordene Lutherkirche gebaut worden. Im runden Kirchenschiff liegen auf einem Bord Zettel aus, die über amnesty international, den Treffpunkt Regenbogen, Aktion Sühnezeichen und Kirche im Gefängnis informieren. Die Luthergemeinde ist engagiert, sie sucht Impulse von außen, wie an diesem Sonntag. In der Predigtreihe „Sehen, handeln, kämpfen, heilen“ über Heilungsgeschichten in den Evangelien halten seit Anfang 2004 einmal im Monat engagierte Frauen die Predigt. Dieses Mal ist die Obdachlosenärztin Jenny De la Torre an der Reihe. Pfarrer Peter Kranz stimmt mit Psalm 22, 2 auf das Thema ein. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, und zitiert Obdachlose: „Ich bin so geworden, als meine Frau mich verlassen hatte, weil ich zu oft betrunken nach Hause kam. Ich habe alles verloren. Es heißt immer, der Mensch ist ein Mensch, aber die meisten nennen mich Penner.“

Dann stellt sich Jenny De la Torre ans Mikrofon. „Ich wollte zuerst gar nicht“, sagt sie. Ganz fest hält sie den mitgebrachten Zettel. „Ich habe zum ersten Mal einen Text geschrieben.“ Sie liest aus dem MarkusEvangelium die Heilung der Schwiegermutter des Simon durch Jesus vor (Mk. 1, Verse 29 bis 34). „Da trat er zu ihr, fasste sie bei der Hand und richtete sie auf; und das Fieber verließ sie.“ Und genau das, findet die Ärztin, müssen alle tun, zu den Menschen gehen: „Es geht nicht nur um Krankheit, es geht auch um Würde, um das Aufrichten und Liebe.“ 1994 hat sie mit ihrer Arbeit begonnen. „Ich wusste nur, ich muss zu diesen Menschen gehen, weil sie nicht mehr zu uns kommen.“

„Obdachlosigkeit“, sagt sie, „ist eine soziale Krankheit.“ Es gibt auch überzeugte Obdachlose, und von einem solchen Mann erzählt sie. Wie er nicht von der Straße wollte, krank wurde, sich schließlich in ein Krankenhaus einweisen ließ und es doch schaffte. Heute unterrichtet er Stepptanz und Informatik. Diese Armut an Liebe kannte die gebürtige Peruanerin nicht. „Viele sagen: ,Wozu soll ich noch gesund werden? Es erwartet mich nur Einsamkeit.’ Daher muss man um jeden kämpfen, der schon auf der Straße ist und sich damit abgefunden hat. Ihnen die Hand reichen. Danke schön.“ Die Gemeinde klatscht und legt viele Scheine in den Korb zur Kollekte für die Obdachlosenstiftung der Ärztin. „Der Herr segne den Weg, auf dem du gehst“, sagt Pfarrer Peter Kranz. Der führt gleich nach dem Gottesdienst viele Gemeindemitglieder an den Stand des Eine-Welt-Ladens, wo es fair gehandelten Kaffee und Schokolade gibt, und dann ins Gemeindehaus zu einem Gespräch mit der Ärztin. cof

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