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Die St.-Hedwigs-Kathedrale am Bebelplatz.

©  Imago

Umgestaltung St. Hedwig in Berlin: Bald sitzen die Gläubigen einzeln

Die Kirchenbänke verschwinden aus der Hedwigskathedrale. Stattdessen werden Stühle aufgestellt. Theologen finden das zeitgemäß und richtig.

Von Fatina Keilani

Kommen Sie, wir rutschen zusammen, hier ist noch Platz: Damit hat es in der Hedwigskathedrale bald ein Ende, denn nach der Umgestaltung hat die Kirche keine Bänke mehr, sondern Stühle. Dann zeigt sich die moderne Gesellschaft mit ihrer Tendenz zur Vereinzelung auch sinnbildlich im Gestühl. Oder etwa nicht?

„Aber nein!“, sagt der Theologe Rolf Schieder, Lehrstuhlinhaber für praktische Theologie an der Humboldt-Universität. „Stühle sind ein Fortschritt – man gewinnt Kommunikationsmöglichkeiten. Kirchenbänke erzeugen architektonisch eine Bußgesinnung.“ Außerdem seien Stühle flexibler – zum Beispiel könne man sie im Kreis aufstellen.

Eine runde Kirche mit Blick für den Mitmenschen

Genau das hat Leo Zogmayer im Sinn. Der österreichische Künstler hat gemeinsam mit dem Architekten Peter Sichau den siegreichen Entwurf für St. Hedwig erarbeitet, und er war es, der die Bänke rausgeworfen hat.

Blick ins Rund. Grundidee: Der Altar in der Mitte, drumrum eine Versammlung von Gläubigen, ein Auge für die Mitmenschen und Schluss mit der Bußgesinnung.
Blick ins Rund. Grundidee: Der Altar in der Mitte, drumrum eine Versammlung von Gläubigen, ein Auge für die Mitmenschen und Schluss mit der Bußgesinnung.

© Thilo Rückeis

„Der Stuhl ist eher als liturgisches Objekt konzipiert“, sagt Zogmayer. „Der einzelne Stuhl ist gleichsam ein Platzhalter für ein Individuum.“ Für jeden Menschen ein Platz, wenn man so will. In seinem Entwurf stehen die 550 Stühle im Kreis. Zogmayer sieht darin eine Versammlung. Wenn sich Menschen versammelten, würden sie sich in einer ähnlichen Form anordnen, nicht militärartig in Reihen, wie es die gewohnte Kirchenarchitektur mit ihren Bänken erzwinge. In der klassischen Kirche habe man keinen Blick für die Mitmenschen, in seinem Rund hingegen schon, meint Zogmayer.

Anbieter von modernen Kirchenstühlen gibt es einige; die Stühle wirken praktisch, nüchtern – sie haben Verbindungsstücke, Hut- und Taschenhaken, Gesangbuchablagen, sind stapelbar und können auch noch um eine Kniebank ergänzt werden. Die Nüchternheit als solche sei nicht schlimm, meint Volker Jastrzembski von der evangelischen Kirche. Entscheidend seien die architektonische Qualität und ein stimmiges Raumgefüge. „Der Kardinal will auf jeden Fall Kniebänke haben“, sagt Stefan Förner, Sprecher des Erzbistums. Das Hinknien sei eben Teil der katholischen Liturgie.

In Kirchen sitzt man erst seit 500 Jahren

Dass überhaupt in Kirchen gesessen wird, ist erst seit gut 500 Jahren der Fall. Zuvor wurde gestanden – deshalb auch die erhöhte Kanzel. Die Kirchenbank ist eher eine deutsche und hier eher eine protestantische Erfindung. Sie erinnert an die Schulbank. „Der Stuhl entspricht unserer Liturgie eher“, findet auch Bernd Hagenkord, Leiter der deutschsprachigen Abteilung bei Radio Vatikan. Bänke stünden eher für das Sich-Einordnen.

Zogmayer hat schon viele sakrale Räume gestaltet, und immer hat er dabei Stühle durchgesetzt. Gab es nie Proteste? „Sehr häufig im Vorfeld“, sagt der Künstler, „aber nie, wenn sie dann drinnen waren.“

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