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Berlin: „Unangemeldete Kontrollen sind wie das Wühlen in dreckiger Wäsche“

Soll der Sozialhilfemissbrauch schärfer überprüft werden? Durchaus, sagt Senatorin Knake-Werner – aber entwürdigend darf es nicht werden

WIE RETTEN WIR BERLIN?

Gibt Berlin im Vergleich zu den anderen Großstädten zu viel für Sozialhilfe aus, und sehen Sie Möglichkeiten, die Kosten zu senken?

Berlin gibt mehr für Sozialhilfe aus als andere Großstädte. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe. Jeder Fünfte in Berlin ist arbeitslos. So lange dies so bleibt, halte ich es für ausgesprochen schwierig, die Sozialhilfekosten in relevanten Größenordnungen zu reduzieren. Ich habe im Gegenteil eher die Sorge, dass die Kosten größer werden, wenn ich an die Pläne zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe denke. Das deutet nicht darauf hin, dass es uns Erleichterung bringt, sondern dass die Kommunen noch mehr Kosten tragen müssen.

Wird in Berlin pro Sozialhilfeempfänger mehr Geld aufgewendet als woanders?

Nein. Berlin liegt hinter Hamburg, München und dem vom Finanzsenator so gern als Beispiel herangezogenen RheinlandPfalz.

Der Finanzsenator vermutet, dass rund 30 Prozent der Sozialhilfeempfänger schwarzarbeitet und missbräuchlich Sozialhilfe bezieht. Wenn man ihnen die Unterstützung striche, könnte man Millionen sparen. Ist das so?

Über die Größenordnung kann man nur spekulieren. Ich teile die Auffassung, dass man was dagegen tun muss, wenn Unterstützung missbräuchlich bezogen wird. Die Sozialhilfe muss für die da sein, die der Hilfe dringend bedürfen. Deswegen überprüfen wir dies auch.

Wie werden Kontrollen effektiver?

Wir erarbeiten eine Ausführungsvorschrift für die Bezirke, die festlegt, wann und wie geprüft wird. Dabei war ich uneins mit dem Finanzsenator, ob eine unangemeldete Prüfung stattfinden darf. Ich bin nämlich der Auffassung, dass die Prüfer nur in begründeten Verdachtsfällen unangemeldet kommen dürfen. Auch Sozialhilfeempfänger haben ein Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung, und das Wühlen in schmutziger Wäsche finde ich entwürdigend.

Sollen die Prüfungen dann in allen Bezirken einheitlich ablaufen?

Die Vorschrift wird in enger Kooperation mit den Bezirken erarbeitet, so dass diese sie auch anwenden müssen. Aber natürlich sind die Bezirke autonom. Reinickendorf zum Beispiel hat bereits angekündigt, unangemeldet zu kontrollieren. Man darf aber nicht vergessen, dass die Prüfdienste nicht nur kontrollieren sollen, ob eine Wohnungsrenovierung wirklich nötig ist oder ein neuer Kühlschrank. Nach dem Sozialhilfegesetz haben sie auch die Aufgabe, zu schauen, ob irgendwo jemand in Not lebt.

Die Bezirke schätzen es ja sehr unterschiedlich ein, wie weit man mit Kontrollen Missbrauch verhindern kann. Während Reinickendorf sagt, großen Erfolg damit zu haben, sehen andere Bezirke das verhaltener?

Das hängt damit zusammen, was man als Missbrauch wertet. Wenn man bereits jede nach einer Prüfung abgelehnte Leistung als aufgedeckten Missbrauch wertet – so wie in Reinickendorf – kommt man natürlich zu gewaltigen Zahlen.

Kann jemand, der missbräuchlich Sozialhilfe bekommen hat, ganz von der Unterstützung ausgeschlossen werden?

Man kann die Leistungen einschränken und sie auch vorübergehend einstellen, aber sobald wieder Bedürftigkeit da ist, muss man weiter zahlen.

Drohen in solchen Fällen Strafanzeigen?

Wenn gegen Gesetze verstoßen wird, sicher.

Dann bekommen die Menschen aber eine Geldstrafe, die sie nicht bezahlen können…

…Ich wäre auch eher dafür, dass Strafen durch sinnvolle gemeinnützige Arbeit abgeleistet werden können.

Apropos gemeinnützige Arbeit: Laut Finanzsenator Sarrazin lehnen viele Hilfeempfänger diese Tätigkeiten ab.

Es kann schon sein, dass nicht alle Sozialhilfeberechtigten begeistert sind, solche Arbeiten zu übernehmen. Viele Tätigkeiten sind auch nicht motivierend, das ist ein Problem. Da käme es darauf an, mehr Kreativität zu entwickeln, also z.B. Arbeiten bei sozialen Diensten, in Kultureinrichtungen oder bei sportlichen Großveranstaltungen anzubieten.

Spart man mit gemeinnütziger Arbeit überhaupt Geld, so wie sich Sarrazin das vorstellt?

Nein, sie kostet. Sie kann kein Ersatz für normale Jobs sein. Sie machen Sinn, um die Menschen sozial zu stabilisieren und ihre Rückkehr in reguläre Arbeit zu verbessern.

Der Finanzsenator geht davon aus, dass im bundesweiten Vergleich Berlin doppelt so viel Personal in den Sozialämtern hat.

Die Berliner Verwaltung hat immer noch eine große Personalausstattung, und wir sind alle gehalten, hier abzubauen. Aber es gibt Bereiche, die zentrale soziale Beratungsaufgaben haben, und die brauchen vielleicht sogar mehr Personal. In den Sozialämtern erwarten die Menschen eine vernünftige Beratung und müssen angemessen betreut werden. Deshalb sehe ich nicht unbedingt die Chance zur Einsparung in den Sozialämtern. Die Probleme werden doch größer.

Der Prozentsatz der Sozialhilfe beziehenden Ausländer ist knapp drei Mal so hoch wie der der Deutschen. Was läuft da falsch?

Das liegt an der hohen Arbeitslosigkeit bei Migrantinnen und Migranten. Bei den Jugendlichen liegen die Quoten über 50 Prozent. Sie wachsen in Haushalten auf, die seit Generationen von Sozialhilfe leben. Das ist problematisch. Selbstverständlich haben sie den gleichen Anspruch auf Sozialhilfe wie Deutsche, aber auch auf gleiche Chancen in dieser Gesellschaft.

Das Interview führte Sigrid Kneist.

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