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Berlin: Und kann man auch 200 werden?

Nicht ausgeschlossen, sagen Alternsforscher. Denn unser Grundbaustein, die Zelle, könnte ewig leben

Herr Dencher, Sie erforschen das Altern auf molekularer Ebene. Mal groß gedacht: Wissenschaftler vom MaxPlanck-Institut in Rostock haben errechnet, dass die Menschen in 150 Jahren durchschnittlich 122,5 Jahre alt werden. Ist das Quatsch?

Nein. Das stimmt. Wir gehen davon aus, dass die Lebensspanne sich jedes Jahr um drei Monate verlängert. Schon jetzt wird jedes zweite Kind in Europa viel älter als wir: Jungen 95, Mädchen 100.

Aber wo wird die Grenze sein?

Früher hat man angenommen, das Alter des Menschen sei auf 120 limitiert. Jetzt weiß man es einfach nicht mehr. Oder noch nicht. Es spricht viel dafür, dass es keine biologische Lebensgrenze gibt.

Wieso?

Weil es keinen biologischen Grund, kein Naturgesetz dafür gibt, warum die Zelle sterben sollte. Wir sterben ja nicht am Alter. Wir sterben an Krebs oder Herzschwäche. Wenn man das ausschaltet – und so wird es früher oder später sein – bleibt die Ungewissheit: Würde der Mensch überhaupt sterben? Und woran?

Was geschieht denn beim Altern in den menschlichen Zellen?

Im Grunde funktionieren die Reparaturmechanismen nicht mehr richtig. Die Mechaniker in unseren Zellen sind die Eiweiße. Sie entsorgen kaputte Proteine, Lipide, Zucker und synthetisieren neue; greifen defekte Bausteine heraus und setzen neue ein.

Klingt einfach.

Das ist es nicht. Denn das große Geheimnis, das kennen wir noch nicht: Wie werden diese Reparaturmechanismen ab- und angeschaltet? In jungen Jahren kann die Zelle alle Schäden wunderbar reparieren, obwohl sie vermutlich stärker ausfallen, durch den Lebenswandel. Aber warum lässt das nach im Alter, obwohl die Schädigungen milder sind? Es ist ja nicht so, dass die Proteine irgendwie altersschwach werden. Sie werden ständig erneuert; eigentlich könnte eine Zelle mit hrer Hilfe ewig leben. Warum sie ihren Dienst irgendwann einstellen, können wir uns zwar denken, aber bewiesen ist es nicht: dass der Organismus sich nämlich „denkt“, dass es „Energieverschwendung“ sei, sobald der Mensch aus dem Fortpflanzungsalter raus ist.

Wie wollen Sie das herausfinden?

Wir forschen an den Mitochondrien, an den so genannten Kraftwerken der Zellen. Mitochondrien erzeugen die Energiewährung ATP im Körper. Dabei fallen Abfallprodukte an, so genannte Freie Radikale, aggressive Moleküle, die Zellschäden und Alterungsprozesse wesentlich bedingen. Wir messen, wie die Eiweiße, also die Reparateure in den Zellen sich verändern, wenn wir Freie Radikale dazugeben, also künstlich Alter schaffen. Wir fragen uns: Sind die Mitochondrien Zielort oder sogar Steuerer des Alterns?

Könnten Sie da eine Art Schalter finden, den man umlegt, damit die Zellen im Alter die Reparaturen nicht einstellen? Eine Art Rezept fürs ewige Leben?

Nicht ausgeschlossen. Aber ich hoffe, ich wäre stark genug, es nicht zu verraten. Unter den gegenwärtigen sozialen und medizinischen Bedingungen wäre das eine Zeitbombe. Ein verantwortungsvoller Wissenschaftler will nicht einfach Leben verlängern, er will die lebenswerten Jahre eines Lebens verlängern, und das ist viel schwerer. Was hat man davon, 120 zu werden mit Alzheimer? Je nach Statistik haben 28 bis 50 Prozent aller 85-Jährigen Alzheimer. Das Ziel heißt: Add life to years, not years to life.

Bei aller Rätselei – gibt es wenigstens Hinweise auf lebensverlängernde Rezepte?

Es gibt momentan nur eine wissenschaftlich erwiesene Methode, und das ist die Kalorienreduktion, Prinzip: Iss die Hälfte. Versuche an Einzellern, Ratten, sogar Affen haben gezeigt, dass das eine Verlängerung von 20 bis 50 Prozent zur Folge hat. Aber warum, das ist noch umstritten. Eine These lautete, dass bei geringerem Grundumsatz die Zellen auch weniger ATP produzieren und somit weniger schädlichen Abfall, also Freie Radikale. Um das Altern molekular zu verstehen, brauchen wir aber noch mindestens zehn Jahre. Es ist eine riesige Herausforderung. In den vergangenen 20 Jahren lebten wir im Zeitalter der DNS-Entschlüsselung. Jetzt leben wir im Zeitalter der Erforschung von Eiweißen.

Das Gespräch führte C.-F. Röhrs

Norbert Dencher ist Professor am Institut für Biochemie der Technischen Uni Darmstadt. Dort und am Hahn-Meitner-Institut in Berlin erforscht er die molekularen Prozesse des Alterns.

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