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Gedenken. Vor dem S-Bahnhof werden Blumen abgelegt, eine Kerze brennt in Erinnerung an den Toten.

© DAVIDS

Unfall am S-Bahnhof Karlshorst: Trauer, Arbeit und viele Fragen

Die Ursache des Unfalls in Karlshorst ist am Sonntagnachmittag weiter unklar - die Arbeiten rings um den S-Bahnhof gehen weiter. Auf dem Bahnhofsvorplatz gedenken viele Menschen des toten Arbeiters.

Der Knirps zeigt erstaunt auf das Hochgleis am S-Bahnhof Karlshorst. „Papa, Papa, da oben steht ja ein Bagger“, ruft er. Männer in orangefarbener Baumontur arbeiten auf den Gleisen. Der Vater lächelt und tätschelt ihm den Kopf. Was er dem Kleinen nicht sagt: Kaum hundert Meter weiter ist am Sonnabend ein Kollege der Männer tödlich verunglückt.

Die Arbeiten rund um den S-Bahnhof gehen am Tag nach dem Unglück weiter, Termine müssen eingehalten werden. Eigentlich war geplant, den Zugang über die Bahnhofsvorhalle am Montag wieder zu öffnen, am frühen Dienstagmorgen sollte auch die Treskowallee wieder für den Verkehr freigegeben werden. Die Bahn will Montagfrüh den S-Bahnverkehr wieder aufnehmen, denn die Bauarbeiten an Bahnbrücke und Gleisen seien beendet, gebaut wird seit Januar 2012. Gegen Mitternacht sollte es Testfahrten geben.

Über die Vorhalle des S-Bahnhofs werden die Fahrgäste ihre Züge indes nicht erreichen: Dort hängt die sieben Tonnen schwere Fußgängerbrücke, die am Sonnabend herabstürzte, schief herunter. Die Bahn prüft, ob der Fußgängersteg aus Stahl, der die Fußgängerüberführung in die Bahnhofshalle hinein verlängert, weiterhin verwendet werden kann.

Ein Metallgitterzaun mit einer grünen Plastikplane wurde als Sichtblende aufgestellt, den Unglücksort sehen die kondolierenden Bürger nicht. Neben dem Eingang an der Stolzenfelsstraße brennt eine Gedenkkerze, Blumen werden abgelegt, es werden immer mehr. Viele Männer im Rentenalter sind da, die meisten haben ihr Berufsleben auf dem Bau verbracht. Sie machen Fotos, sehen den Arbeitern zu. Einer ist aus Friedrichsfelde nach Karlshorst gefahren, er hat 40 Jahre im Industriebau hinter sich. Andere Zaungäste hören zu, erzählen aus dem eigenen Berufsleben. „Ich habe damals beim Fernsehturm am Alex mitgearbeitet, da ist auch jede Menge passiert“, wirft ein anderer Mann in die Runde und erntet zustimmendes Nicken.

Die Schuldfrage wird in den nächsten Wochen Polizei, Staatsanwaltschaft und Versicherungen beschäftigen. Für die Projektleitung am S-Bahnhof Karlshorst ist ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn verantwortlich, die DB ProjektBau. Diese wiederum überwacht die Hochtief Solutions, die die Baumaßnahmen ausführt. Beide Firmen haben ihre Baubüros in einigen aufeinander gestapelten Containern auf der anderen Seite des S-Bahnhofs, in der Straße Am Carlsgarten. Laut Bahn sind 45 Subunternehmen beteiligt.

„Sie können sich vorstellen, dass die Stimmung nach so einem schweren Bauunfall gedrückt ist“, erklärt ein Mitarbeiter von Hochtief und verweist an die Projektleitung eine Etage höher. Dort wiederum heißt es: „Sie werden sicher verstehen, dass wir keine Auskünfte geben können.“ Unterdessen tagen am Sonntagnachmittag Bahn, Sachverständige und Vertreter des Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit am Unfallort. Laut Lagetsi-Sprecher Harald Henzel wird ab Wochenbeginn der Wartungszustand der Geräte geprüft und auch die Frage, ob sie richtig eingesetzt worden sind. Was die Unfallursache war, dazu konnten und wollten er und auch Vertreter der Bahn sich am Sonntag nicht äußern.

Nach Tagesspiegel-Informationen könnte entweder eine Kette gerissen sein oder eine für die Last zu schwache Dreibeinflaschenzugkonstruktion benutzt worden sein. Vielleicht gab es auch eine Verkettung unglücklicher Umstände. Unklar war noch, ob die Bauarbeiter zur eigenen Sicherheit nicht eigentlich hätten angeseilt sein müssen.

Die Bauarbeiter selbst sind wenig auskunftsfreudig. Ob und wie traumatisierte Zeugen des Unglücks unter ihnen psychologische Unterstützung bekommen, darauf hatte die Bahn am Sonntag keine Antwort. Konzentriert gehen die Bauleute ihrer Arbeit nach, es ist ungewöhnlich ruhig: Kein lautes Rufen, keine schimpfenden Vorarbeiter, schon gar kein Gelächter. Selbst während der Pausen im „AS Döner“, direkt gegenüber dem Containerdorf, mag kaum jemand offen reden.

„Ich habe am Sonnabend jeden gefragt, der zur Tür reinkam – aber keiner wollte sagen, was genau passiert ist“, sagt Ömer Dincuglu, der in dem Imbiss arbeitet. Am Sonnabend hätten die Arbeiter noch bis spät in die Nacht in dem durchgängig geöffneten Imbiss beieinandergesessen, erzählt er. „Für die Bauarbeiter und ihre Familien ist das richtig traurig“, sagt Dincuglu, selbst er habe eine unruhige Nacht verbracht. „Am Ende muss man noch froh sein, dass das Unglück nicht unter der Woche passiert ist – da ist auf der Baustelle viel mehr los.“ Timo Kather / Annette Kögel

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