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Berlin: Unkoscher tanzen

Die jüdisch-israelische Partyszene blüht in der Stadt. Hingehen können alle

Vor wenigen Tagen ist Ronen Sabo alias DJ Sabbo noch in Shorts und T-Shirt Rad gefahren in Tel Aviv. Nun läuft er durch Berlin-Mitte, die Augen wegen des ausschweifenden Gigs in der Nacht zuvor hinter einer großen Sonnenbrille verborgen, und friert. Vor allem am Hals und an den Ohren, denn erst kürzlich hat sich Sabo nach 16 Jahren von seinen rückenlangen Dreadlocks getrennt. „Damit hätte ich wohl lieber bis nach meinem Berlin-Besuch gewartet“, sagt der 36-Jährige und lacht.

In Israel und besonders in seiner Heimatstadt Tel Aviv, dem Zentrum der Party- und Clubszene des Landes, ist der Produzent und DJ, der aus Reggae, Funk und Dubstep einen mitreißenden Cocktail mixt, ein Star. In Berlin ist er überwiegend nur jüngeren Menschen jüdischer oder israelischer Herkunft ein Begriff. Das könnte sich heute Abend ändern, dann tritt Sabo zusammen mit der Sängerin Karolina, einer der bekanntesten Stimmen Israels, auf der Chanukka-Party im Roadrunner‘s in Prenzlauer Berg auf. Denn auch wenn die zum zweiten Mal stattfindende Party das jüdische Lichterfest zum Anlass nimmt, richtet sie sich bewusst an ein multikulturelles Publikum.

„Jüdischsein soll nicht mehr als etwas Besonderes, gar Fremdes wahrgenommen werden“, sagt Organisatorin und Musikjournalistin Claudia Frenzel. Bei ihrem ersten Israel-Besuch 2003, dem viele weitere folgten, war sie begeistert von der Vielfalt der Musik und der Experimentierfreudigkeit der israelischen Künstler. „Denn israelische Musik besteht längst nicht nur aus Klezmer“, sagt die 34-Jährige. Das sei ungefähr so, als wolle man die deutsche Musiklandschaft auf Schlager oder bayerische Blasmusik reduzieren.

Die zweite Organisatorin heißt Elina Tilipmann. Ihre Eltern sind Juden, die in den Achtzigern aus Russland nach Deutschland kamen, hier ist die 26-Jährige aufgewachsen. „Bei uns war Judentum nie ein Thema, wir haben Weihnachten gefeiert“, sagt sie. Mit Anfang 20 fängt sie an, sich mit ihren kulturellen Wurzeln auseinanderzusetzen und genießt heute in der Gesellschaft anderer Juden ein Zugehörigkeitsgefühl, wie sie es zuvor nicht kannte. Doch es sei sehr wichtig, aus diesem Gemeinschaftsgefühl keinen Hype zu kreieren, nach dem Motto „Juden sind hip”. „Eine Gruppe von Menschen als speziell zu klassifizieren, kann nie hilfreich sein“, sagt Tilipmann.

Das sieht auch Gabriel Tichauer so, der seit mehr als drei Jahren an jedem ersten Samstag im Monat die „Hip Hop don‘t stop“-Partys in der „Tube Station“ in Mitte organisiert, wo kommende Nacht ab 2 Uhr auch DJ Sabbo auflegt. Der 37-jährige Tichauer ist bis zu seinem 18. Lebensjahr als Sohn eines Bar-Mitzwa-Lehrers streng jüdisch aufgewachsen, bis er nach eigenen Wegen suchte. Auf seinen Partys legen häufig israelische DJs auf, doch das Publikum ist bunt durchmischt. „Mir ist nur wichtig, dass alle gemeinsam fröhlich feiern. Egal ob Israeli, Jude, Araber, Deutscher oder Asiate“, sagt Tichauer.

Auch Aviv Netter hat Probleme mit der „Schwere des Wortes jüdisch”, wie der 26-Jährige sagt. Ein Teil seiner Familie lebte einst in Mitte und ist von den Nazis ermordet worden. Seine Eltern wohnen heute in New York und fanden die Begeisterung ihres Sohnes für Berlin anfänglich befremdlich, ja „meschugge“. Kurzerhand nennt Netter eine Partyreihe so, die er seit drei Jahren regelmäßig in Berlin veranstaltet und zu der viele schwule Gäste kommen. Das Motto am 11.12. lautet: Hanukka versus Christmas, Barbra Streisand versus Mariah Carey. „Es ist zwar eine jüdische Party aber keine Party für Juden“, beschreibt Netter die „unkoschere jüdische Nacht“.

Dass es nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt wieder eine Partyszene mit israelischem oder jüdischem Bezug in Berlin gibt, ist eine junge Entwicklung. „Vor fünf Jahren war da noch gar nichts“, sagt Vernen Liebermann. Der 28-Jährige hat im April 2008 zusammen mit Daniel Stern die erste „Sababba“-Party veranstaltet, die nun drei- bis viermal im Jahr im „Felix“ in Mitte und heute Abend als festlicher Chanukka-Ball in Kreuzberg stattfindet. Viele der Gäste sind jüdischer Herkunft und engagieren sich in der Jüdischen Gemeinde, doch Liebermann will auch Nicht-Juden ansprechen. „Wir möchten zeigen, dass Gedenken nicht mehr die Hauptrolle im jüdischen Leben spielt“, so Liebermann.Eva Kalwa

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