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Foto: Mike Wolff

© Mike Wolff

Renaissance in Berlin: Der unsichtbare Schatz

Botticelli, Rembrandt, Dürer: Die Gemäldegalerie besitzt eine der glanzvollsten Kollektionen der Welt. Doch Berlin versteckt sie in der Wüste namens „Kulturforum“. Was sich jetzt und künftig ändern muss.

Eben tanzte hier noch das Leben. Mehr als 380 000 Besucher haben in der Neuen Nationalgalerie die Gerhard-Richter-Ausstellung gesehen und dabei auch die Terrassen um die architektonische Ikone von Mies van der Rohe bevölkert. Die Schau ist zu Ende, es bleibt die Stille nach dem Sturm. Gleich nebenan, beim „Kulturforum“ mit seinen Museen und Ausstellungshallen, herrschte selbst während des Richter-Booms einmal mehr Flaute. Ein fast menschenleeres Areal mitten in der Stadt – als hätte jemand kurz vor dem Potsdamer Platz wieder eine Berliner Mauer gebaut, diesmal unsichtbar.

Vor gut einer Woche hat auf dem Kulturforum im Anbau der Gemäldegalerie die Ausstellung „Künste der Aufklärung“ begonnen, ein Beiprogramm zum gefeierten Friedrich-Jahr mit mehr als 300 Exponaten. Am Eröffnungstag – als bei Richter die Massen noch Schlange standen und die Stadt voller Touristen war – begegnete ich dort während eines einstündigen Rundgangs gerade: zwei Besuchern. Am vergangenen Wochenende sind dann in mehreren Zeitungen, auch als Feuilletonaufmacher im Tagesspiegel und in der „Süddeutschen Zeitung“, hoch lobende Besprechungen der Ausstellung erschienen. Hierauf machte ich eine zweite Stichprobe. Und teilte die „Künste der Aufklärung“ mit vier anderen Besuchern. Noch immer waren die Saalwärter in der Überzahl.

Auch nur wenige, meist etwas betagtere Neugierige haben derweil im angrenzenden Kupferstichkabinett den Weg zur dort durchaus spektakulär wiederzuentdeckenden, lasziv mondänen Zeichnerin Dodo aus Berlins tollen zwanziger Jahren gefunden. Und nebenan, im selben großen Gebäudekomplex am Kulturforum, schlendern derweil einige vornehmlich junge Leute in kleinen Gruppen durch die weiten Flure der Gemäldegalerie, sympathisch, aber sehr überschaubar. Man hört dort viel Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch. Doch im Saal beispielsweise mit dem berühmten „Jungbrunnen“ von Lukas Cranach, mit seinen Visionen von Amor und Venus und dem Fantasy-spukenden „Jüngsten Gericht“ kann man so viel große Kunst schon mal minutenlang sehr konzentriert, weil völlig allein betrachten.

380 000 Besucher in drei Monaten? Davon kann die Gemäldegalerie nur träumen. Ein festes Museum ist zwar nicht direkt mit dem Event einer so spektakulären Sonderausstellung wie der Richter-Retrospektive zu vergleichen. Einigermaßen gegenhalten konnte die Gemäldegalerie da nur vor sechs Jahren einmal mit einer eigenen Rembrandt-Schau zum 400. Geburtstag des niederländischen Meisters. Oder mit einer Viertelmillion Besuchern 2011 bei den „Gesichtern der Renaissance“, die freilich nicht am Kulturforum, sondern im Zusammenspiel mit dem Bode-Museum auf der Museumsinsel zu sehen waren.

HIER IST UNSER LOUVRE

Die Gemäldegalerie aber ist ja selbst ein Event, sprich: ein selbstständiges Ereignis. Sie ist mit ihren mehr als tausend Meisterwerken aus dem 13. bis 18. Jahrhundert, mit den Höhepunkten der europäischen Renaissance und des Barocks, eine der glänzendsten Kollektionen der Welt. Zumal in einer Welt der Bilder. Hier sind unsere Uffizien, hier ist unser Prado! Vom Rang und Wert aller Berliner Kunststätten kommen der Gemäldegalerie nur das Pergamonmuseum und das Neue Museum mit seinen altägyptischen Schätzen und dem Galionsgesicht der Nofretete gleich.

Gerhard Richter übrigens, der als hoch gebildeter Künstler selbst mit Vorbildern spielt, er hätte seine vielen Bewunderer als Erstes zum Augenöffnen zu Mantegna, Botticelli, Tizian, Raffael, Caravaggio, zu Vermeer, Holbein, Cranach, Hieronymus Bosch und natürlich zu den Dürers, den (siebzehn!) Rembrandts oder den Watteaus in die Gemäldegalerie geschickt! Doch vor allem auswärtige Besucher finden das Haus oft gar nicht oder haben keine Ahnung, wie nah bei der Neuen Nationalgalerie eines der wunderbarsten Museen Europas liegt. Auch gab’s, während Hunderttausende für Richter anstanden, keinerlei Werbung für die Schätze des Hauses gleich um die Ecke! Obwohl beide Institutionen zu Berlins Staatlichen Museen gehören, unterm gemeinsamen Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Von mehreren Millionen Besuchern pro Jahr wie der Louvre, die Vatikanischen Sammlungen oder die Petersburger Eremitage, die als (ehemalige) Residenzen und Universalmuseen in einer Extraliga spielen, sind die einzelnen Häuser der Berliner Museen gewiss noch entfernt. Doch der Kultur(tourismus)-Boom beschert der Hauptstadt immerhin 15 Millionen Museums-, Ausstellungs- und Gedenkstättenbesucher pro Jahr.

KULTURTOURISTEN STRÖMEN – ANDERSWOHIN

Bei Berlins Staatlichen Museen, die 2011 über 4,6 Millionen Tickets verkauften, konzentriert sich der Ansturm indes mit rund 3,4 Millionen Besuchen vornehmlich auf die Museumsinsel. Dort hat im letzten Jahr das Pergamonmuseum mit 1,3 Millionen das Neue Museum mit 903 000 Besuchern wieder als Spitzenreiter verdrängt (2010 hatte das in der Chipperfield-Architektur gerade sensationell auferstandene Neue Museum 1,14 Millionen Gäste). Dagegen fällt das in der jüngsten Statistik der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nur als Konglomerat aus Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett und Kunstbibliothek geführte „Kulturforum“ mit seinen insgesamt 277 000 (2010: 268 000) Besuchen klar ab.

Ins Alte Museum, ins Bode-Museum, in die Alte Nationalgalerie und auch in den Hamburger Bahnhof gingen jeweils mehr Menschen. Außer den zur Preußenstiftung gehörenden Institutionen werden unter anderem auch das Jüdische Museum mit jährlich über 700 000 Besuchern, das Deutsche Historische Museum, das Technikmuseum oder das Naturkundemuseum häufiger frequentiert.

Dazu ein Blick hinaus auf die mit der Gemäldegalerie einzig vergleichbaren Häuser in Deutschland: Dresdens Galerie der Alten Meister rund um Raffaels in diesem Jahr ihren 500. Geburtstag feiernde Sixtinische Madonna hatte 2011 mit einer Sonderausstellung gut 570 000, Münchens Alte Pinakothek exakt 336 452 Besucher. Beide Sammlungen finden mehr Resonanz, wobei im Fall Dresden der barocke Semperbau beim Zwinger als Haus der Gemäldesammlung seine eigene Attraktion entfacht. Andererseits hat Berlin absolut viel mehr (Kultur-)Touristen als Dresden oder München.

Hermann Parzinger, der 2008 aus München kam und seitdem Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist, kann sich über solche Zahlen naturgemäß nicht freuen. Die Gemäldegalerie wird auch für ihn deutlich unter Wert wahrgenommen. Parzinger ruft in seinem Präsidentenzimmer in der weißen eleganten Villa von der Heydt am Landwehrkanal in Tiergarten aus: „Dabei ist die Malerei doch das künstlerische Leitmedium der Neuzeit!“ Sagt Parzinger, der von Hause aus Prähistoriker und Archäologe ist.

STEINERNE BRACHE MIT POMMESBUDE

Es wirkt offenbar der Fluch des Orts. Die im Krieg überwiegend geretteten Bestände der Berliner Gemäldesammlung wurden nach 1945 zweigeteilt, sie waren im Osten auf der Museumsinsel, im Westen ab 1950 peu à peu in den abgelegenen Museen in Dahlem untergebracht. Seit 1998 sind die Bilder wieder zusammengeführt im Neubau der Münchner und Berliner Architekten Hilmer & Sattler und Albrecht. Das innen weitläufige, in den Ausstellungsräumen lichtschöne Haus liegt jedoch nach außen versteckt hinter der Beton- und Plattenrampe des „Kulturforums“.

Die ansteigende Rampe, hinter der die räumlich verbundenen Ausstellungshäuser, vor allem die Gemäldegalerie und das Kupferstichkabinett, fast verschwinden, heißt dann auch noch albern italianisiert „Piazetta“. Halbwegs auffallend ist nur der rechte Begrenzungsriegel des Kulturforums, der Backsteinbau des (sehenswerten) Kunstgewerbemuseums, das indes wegen Umbaus geschlossen ist. Auf der „Piazetta“ selbst gibt es als einzigen Halt ein behelfsbauähnliches Freiluft-Café, das mit seinen spärlichen Gästen und den drei grünen Sonnenschirmen einer norddeutschen Brauerei eher an ein Vereinslokal von Werder Bremen erinnert. An spielfreien Tagen.

Wer vom Reichpietschufer und der Neuen Nationalgalerie im Süden, von der Potsdamer Straße mit ihrem sechsspurig dahinbrausenden Verkehr oder nördlich von der Philharmonie oder vom Potsdamer Platz kommt, kann die am Kulturforum versammelten Institutionen kaum erkennen. Im Vorfeld gibt es nur eine steinerne Brache mit wenigen Bäumen, eine Wurst- und Pommesbude, Parkplätze und die aus anderen Zeiten übrig gebliebene und ihrerseits verlorene St. Matthäuskirche. Die Neue Nationalgalerie zur einen, die Philharmonie als Magnet im Scharoun-Bau zur anderen Seite des Areals bedeuten andere Welten.

„Wir sind hinterm Hügel“, sagt Bernd Wolfgang Lindemann als Direktor der Gemäldegalerie und des Bode-Museums. Allerdings müsse man „das Positive betonen“. Als Doppeldirektor rechnet er die Viertelmillion Besucher der „Gesichter der Renaissance“ im Bode-Museum der Gemäldegalerie am liebsten mit an. Tatsächlich war die eigene Bildersammlung die Basis, etliche Stücke aus der Gemäldegalerie hängen ohnehin im Bode-Museum neben der zeitgleich entstandenen skulpturalen Kunst. Eines Tages sollen beide Häuser auch wieder zusammengeführt werden, aber das erwartet Lindemann kaum mehr in diesem Jahrzehnt. Sein oberster Chef, Preußenstiftungspräsident Hermann Parzinger, ist da etwas optimistischer. Und hinter dieser Andeutung verbirgt sich der – neben dem Humboldt-Forum und dem Schloss-Aufbau – spannendste Zukunftsplan der Berliner Museen.

Es gibt da nämlich noch ein paar Probleme, ein paar Zusammenhänge mehr. Die Gemäldegalerie und auch das Kupferstichkabinett sind im Abseits. Gleichzeitig kann die Neue Nationalgalerie nur einen Bruchteil ihres Bestandes im Tiefgeschoss unter der gläsernen Wechsel-Ausstellungshalle zeigen. Die augenblickliche Schau „Der geteilte Himmel“ (1945 bis 1968) umfasst kaum ein Drittel der Sammlung klassischer Moderne vornehmlich aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zudem hat Berlin noch zwei große Geschenke erfahren: die im Hamburger Bahnhof nur noch partiell zu sehende Sammlung von Erich Marx (mit Beuys, Warhol, Kiefer, Polke) und die neu gestiftete Kollektion des Sammlerpaars Ulla und Heiner Pietzsch: 150 Bilder und Skulpturen von Magritte und Max Ernst bis zu Pollock und Mark Rothko.

DER PLAN: EIN NEUBAU AM KUPFERGRABEN

Die Sammlung Pietsch sahen 2009 schon 200 000 Besucher in der Neuen Nationalgalerie, vor anderthalb Jahren erfolgte die Stiftung, doch die Sammlung hängt seitdem wieder dicht gedrängt im Grunewalder Privathaus Pietzsch. Erich Marx und das Ehepaar Pietzsch sind über 80 Jahre alt – und sie möchten, dass ihre mäzenatischen Gaben, bei denen viele internationale Museen sofort zugreifen würden, endlich angemessen und in Gänze präsentiert werden. Das aber soll in den Räumen der heutigen Gemäldegalerie geschehen, die dann unter der Ägide von Udo Kittelmann, dem Direktor der Neuen Nationalgalerie, mit dieser zusammen zu einer neuen „Galerie des 20. Jahrhunderts“ wachsen soll. Dafür wäre im Hamburger Bahnhof der Freiraum für die aktuelle Gegenwartskunst.

Und die Gemäldegalerie? „Sie kommt mit der südeuropäischen Malerei aus Mittelalter und Renaissance mit der entsprechenden Bildhauerkunst in den Neorenaissancebau des Bode-Museums, die nordeuropäische Malerei, also vor allem die deutsche und niederländische Kunst, kommt in einen optisch erkennbar verbundenen Neubau direkt gegenüber dem Bode-Museum am Kupfergraben“, sagt Hermann Parzinger leuchtenden Auges. Es geht um die sogenannten „Museumshöfe“, ein ehemaliges Militärgelände. Hinter einem abzureißenden Flachbau am Kupfergraben lagern bisher noch die Container für die Bauarbeiten auf der Museumsinsel – und auf der Rückseite hin zur Geschwister-Scholl-Straße steht jetzt das im Oktober eröffnende, von den Stuttgarter Architekten Harris + Kurrle gestaltete neue „Archäologische Zentrum“ der Staatlichen Museen.

ES FEHLEN HÖCHSTENS 200 MILLIONEN

„Das kleine Problem bei allem ist nur das Geld“, meint Museumsdirektor Lindemann. Bis in die 2020er Jahre binden die Restaurierung des Pergamonmuseums, des Alten Museums, der von Architekt David Chipperfield betriebene Neubau des Eingangsbereichs von Pergamonmuseum und Neuem Museum nebst der gerade beschlossenen Sanierung der Neuen Nationalgalerie die zu 75 Prozent vom Bund beigesteuerten Projektmittel der Preußenstiftung und ihrer Museen. Weit über eine Milliarde Euro hat der Bund bereits für die Erhaltung und Neugestaltung der Museumsinsel ausgegeben, und im Jahresetat der Stiftung (rund 260 Millionen Euro) gibt es keine weiteren Reserven.

Wo sollen da für einen Neubau der Gemäldegalerie und die Erweiterung der Neuen Nationalgalerie die dreistelligen Millionenmittel herkommen? Präsident Parzinger sagt: „Mir wäre es am liebsten, wenn wir in der heutigen Gemäldegalerie die neue Galerie des 20. Jahrhunderts mitsamt den Sammlungen Marx und Pietzsch 2015/16 eröffnen könnten.“ Und die Gemäldegalerie am Kupfergraben? „Wir wollen die alten Meister natürlich nicht auf Jahre wegsperren“, meint Parzinger. „Dazu müssen wir nun stärkeren Zeitdruck aufbauen, aber der Bund weiß im Grunde, dass er mehr dazugeben muss. Außerdem bemühen wir uns um Mäzene.“

Tatsächlich ergibt sich dieser Druck schon aus den Stiftungen von Marx und Pietzsch. Parzinger: „Die beiden Sammlungen sind eine halbe Milliarde wert. Ohne sie würden wir in der Moderne abstürzen, aber mit ihnen sind wir in Berlin besser als die Tate Modern in London.“ Sprich: europäische Spitzenklasse. „Nur sieht das im Moment kein Mensch!“, fügt Parzinger hinzu. Das zu ändern und die generösen Stiftungen der Sammler nicht zu verlieren, müsste man allerdings schnellstens konkrete Finanzierungspläne erarbeiten, einmal mehr den Bund mobilisieren sowie Ausschreibungen und Architektenwettbewerbe starten.

Alles nur Luxus? Bernd W. Lindemann verweist darauf, dass schon die jetzigen Besucher der Gemäldegalerie überdurchschnittlich häufig aus dem Ausland kommen, meist kulturell gut vorgebildet. „Und jeder Kulturtourist in Berlin gibt im Durchschnitt pro Tag 180 Euro aus!“ Im Ausstrahlungsgebiet der Museumsinsel ließe sich die Besucherzahl mindestens verdreifachen.

Hier nur ein Zwischenruf: Trotz der überdurchschnittlich vielen ausländischen Besucher sind die Bildlegenden in der Gemäldegalerie bis heute nur deutsch. Ein weiterer Anachronismus. Und warum gibt es nicht wie bei der Film-Berlinale auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße und überhaupt im reichlichen Leerraum zwischen Philharmonie und Neuer Nationalgalerie Werbetafeln: mit den Schönen, Mächtigen, Berühmten, mit den prachtvollen Szenen aus dem Bilderschatz der Gemäldegalerie und des Kupferstichkabinetts?

Apropos: Dieses „Kabinett“ im unscheinbaren Seitenflügel des Kulturforums birgt eine der vier bedeutendsten grafischen Sammlungen der Welt. Mit über 550 000 Drucken und gut 110 000 Zeichnungen, Aquarellen und Ölskizzen von Botticelli, Dürer und Rembrandt (von beiden die größte Grafiksammlung überhaupt) bis hin zu Schinkel, Menzel, Picasso oder Warhol. Das weiß und sieht auch selten ein Mensch!

Direktor Lindemann klagt, die Sache mit den Schaukästen und besseren Hinweisen auf die Sammlungen des Kulturforums habe man schon öfter angesprochen. Aber dafür sei der Stadtbezirk Mitte zuständig, und der habe solche Ansinnen wiederholt abgelehnt. Und bei der Berlinale? Ratloses Kopfschütteln. Überhaupt ist die Nicht-Werbung am Kulturforum der Wahnsinn. Normalerweise steht über dem, was an Restbau hinter der Betonrampe der „Piazetta“ noch hervorragt, nur die Schriftmarke „Kulturforum“. Die einzelnen Institutionen, um die es für die Besucher geht, sind fast unlesbar klein und tief an einer Seitenmauer angeschrieben. Jetzt aber hat man mit einem weißen Tuch die Signatur „Kulturforum“ verhängt, wirbt mit krakeliger Frakturschrift für die „Künste der Aufklärung“. Der aktuell größte Hinweis am ganzen Kulturforum aber ist das schlichte Schild „Eingang“. Man weiß zwar nicht, wohin und wozu, aber es entstellt die verbaute Lage zur Kenntlichkeit.

„Das ist eine Stadtwüste“, sagt Lindemann. „Bis 2004 hat die Gemäldegalerie dort nicht einmal auf den Stadtplänen existiert“, trotz ihres Neubaus und der feierlichen Eröffnung 1998. Absurderweise existieren die Gemäldegalerie oder das Kupferstichkabinett, anders als die anderen Museen, auch erst mal nicht auf der offiziellen Website der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Man muss, sie zu finden, das „Kulturforum“ anklicken. Wer das aber nicht weiß, den macht man nicht heiß.

„Wir sind nicht im Fokus, das ganze Augenmerk liegt auf der Museumsinsel und dem künftigen Schloss.“ Das bemerkt Heinrich Schulze Altcappenberg, der Direktor des Kupferstichkabinetts. Er ist in Sorge, dass bei einem Umzug der Gemäldegalerie Richtung Museumsinsel die Präsentation der klassischen europäischen Bildkultur zerrissen würde. Bliebe das Kupferstichkabinett tatsächlich am Kulturforum, dann möchte Hermann Parzinger bei Gemäldegalerie und Bode-Museum auch am neuen Ort wenigstens „Platz schaffen für eigene Auftritte“ der so bedeutenden grafischen Sammlung.

DEMNÄCHST: EIN NEUER PLATZ DER KÜNSTE?

Bis es irgendwann zu dieser Neulösung kommt, lässt sich das Kulturforum aber nur retten, indem man es abschafft. Als Erstes begrifflich, das würde nichts kosten und wäre ein Signal. „Kulturforum“ ist ja nichts als ein Abstraktum. Und in der Realität ein retortenhaftes Relikt aus den 1960/70er Jahren: hingesetzt gegen die nahe Mauer und die Wüstenei des einstigen Potsdamer Platzes. Ohne eigene urbane Realität, bis heute.

Das wissen alle Beteiligten – auch die Schweizer Architektin und Stadtplanerin Regula Lüscher, die seit fünf Jahren Berlins Senatsbaudirektorin ist. Lüscher erkennt, dass eine Verbesserung des prekären Areals urbanistisch, kulturpolitisch und museumsstrategisch neben dem komplizierten Zusammenwirken von Bund, Senat, Bezirk Mitte, Preußenstiftung und der angrenzenden Philharmonie eines „eigenen Kulturmanagements“ bedürfte. „Das ist jedoch nicht meine Aufgabe“.

Jedenfalls, meint Lüscher in ihrem Büro mit Blick auf den alten Bärenzwinger im Köllnischen Park, „braucht es die Erkennbarkeit der einzelnen Institutionen, ein zentral positioniertes Informations- und Besucherzentrum und abends beispielsweise ein besonderes Lichtkonzept“. Am besten wäre es, die Rampe mit der „Piazetta“ abzureißen und die Ausstellungshäuser dahinter freizustellen. Aber dafür fehle das Geld. Zweieinhalb Millionen Euro hatte der Senat allerdings bereitgestellt für kleinere Lösungen wie eine Begrünung der Steinbrache und vor allem ein Infozentrum an der Potsdamer Straße vor der Abzweigung zur Philharmonie, deren Besucher dann auch stärker für die benachbarten Kunstorte angesprochen würden. Die Arbeiten sollten dieses Jahr beginnen, doch wird das Geld unversehens für die Sanierung der maroden Tiefgarage des Kammermusiksaals neben der Philharmonie benötigt.

Regula Lüscher hofft auf das kommende Jahr. Und sie hat auch schon bei drei Architekturbüros Ideenskizzen als Anregungen für eine mögliche Umgestaltung des Kulturforums besorgt. „Eigentlich bräuchte es, das Areal dort wie eine Bühne zu bespielen, einen André Heller!“ Andererseits geht es Lüscher noch um eine Gedenkstätte an der früheren Tiergartenstraße 4, schräg hinter der heutigen Philharmonie, wo unter den Nazis das mörderische Euthanasieprogramm (Kürzel „T 4“) für Kranke und Behinderte geplant wurde. Es sei indes schwer, für all das die großen und kleineren Mitspieler vor Ort an einen Tisch zu bekommen. Ähnlich wie Hermann Parzinger und die Museumsdirektoren fände Lüscher eine Verabschiedung des Begriffs Kulturforum „interessant“ – und eine Umbenennung der ridikulösen „Piazetta“ wünschenswert. Darum: Wie wäre es mit einem „Platz der Künste“?

Immerhin wollen die Berliner Philharmoniker im Sommer 2013 ein verbindendes Zeichen setzen. Simon Rattle wird dann erstmals auf dem Platz zwischen seinem Haus und der Gemäldegalerie ein Open-Air-Konzert dirigieren.

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