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Berlin: „Unverhältnismäßig und demütigend“

Justiz und Aktionsbündnis kritisieren Polizeieinsatz gegen Demonstranten, die in Neuruppin Neonazi-Aufmarsch verhindern wollten

Potsdam - Die Kritik am rigorosen Polizeieinsatz der brandenburgischen Polizei in Neuruppin wird immer schärfer. Weil die Beamten – wie berichtet – über zweihundert Demonstranten einkesselten und eine Sitzblockade gegen einen genehmigten Neonazi-Aufmarsch am 24. September auflösten, hat sich jetzt das Landesaktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit eingeschaltet und drängt auf Aufklärung. Die Vorsitzende Heilgard Asmus nutzte am Dienstag einen regulären Termin bei Innenminister Dietmar Woidke (SPD), um Kritik am Vorgehen der Polizei zu üben, das nach Tagesspiegel-Informationen auch in der Justiz als „unverhältnismäßig“ bewertet wird.

„Das muss gründlich aufgearbeitet werden“, sagte Andrea Spangenberg, die Leiterin der Geschäftsstelle des Landes-Aktionsbündnisses auf Anfrage. Dabei gehe es nicht darum, ob die Sitzblockade geräumt werden durfte, denn damit sei zu rechnen gewesen. „Es geht um den gesamten Polizeieinsatz, um die Art und Weise.“

Bei dem Einsatz mit mehr als tausend Beamten waren nach Augenzeugenberichten mehr als zweihundert Demonstranten stundenlang eingekesselt worden. Selbst Teilnehmer, die nach Aufforderung durch die Polizei die Blockade freiwillig verlassen wollten, wurden knapp drei Stunden in einem Gefängniswagen festgehalten, ohne Wasser und Toiletten. „Es gab demütigende Situationen“, sagte Spangenberg. Das Landesbündnis unterstützt nach ihren Worten das lokale Bündnis „Neuruppin bleibt bunt“, das bei der Aufarbeitung des Einsatzes nicht lockerlassen will.

Parallel zum von Innenminister Dietmar Woidke (SPD) für Ende Oktober angekündigten Bericht zum Einsatz für den brandenburgischen Landtag wollen beide Bündnisse einen eigenen Bericht zu den Vorfällen „aus teilnehmender Sicht der Zivilgesellschaft“ vorlegen.

Der auch von Grünen und Linken kritisierte Einsatz belastet nicht nur die rot-rote Koalition, sondern das Verhältnis von Polizei und Justiz im Land. Auf einem Bürgerforum vor Ort übte der Präsident des Landgerichtes Neuruppin, Egbert Simons, in der vergangenen Woche nach Tagesspiegel-Informationen offen Kritik: Es seien Bürger „de facto“ stundenlang in Gewahrsam genommen worden – ohne richterliche Entscheidung, die nach dem Versammlungsgesetz nötig ist. Die Justiz hatte, da mit Eskalationen zu rechnen war, einen Richternotdienst eingerichtet. Wie Simons publik machte, gab es von der Polizei aber keine Anträge auf Gewahrsamnahmen. Die Einsatzführung hatte das stundenlange Festhalten der Demonstranten mit der Aufnahme von Personalien begründet, die ohne Richterbescheid vorgenommen werden darf. Das Innenministerium hält die Auflösung der Sitzblockade für gerechtfertigt, wie Sprecher Ingo Decker sagte. Er fügte einschränkend hinzu: Zum Gesamteinsatz, der gründlich ausgewertet werde, laufen die Prüfungen noch: „Da wird nichts unter den Teppich gekehrt“. Allerdings weise man Vorverurteilungen, „auch aus den Reihen der Koalition“, strikt zurück. Die Linken, die mit dem früheren Verfassungsrichter Volkmar Schöneburg den Justizminister stellen, hatten den Einsatz sofort scharf kritisiert. Thorsten Metzner

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