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Nichts wie raus. Nach dem Beben verließen die Patienten fluchtartig die ebenerdigen Krankenzimmer des SKM Hospital. Dann wurde auf der Wiese behandelt.

© Jürgen Hußmann

Urlaub im OP: Berliner Mediziner nehmen frei für Erdbebenopfer in Nepal

Sie nehmen sogar Urlaub, um in Nepal Schwerverletzte zu behandeln. Einige Helfer erlebten das Beben mit. Der Berliner Chirurg Jürgen Hußmann hat viel aus Kathmandus Helfer-Hospital zu erzählen. Da wird auch improvisiert.

Sie kommen zu Fuß aus den Tälern und tragen ihre schwerverletzten Angehörigen bis zur Klinik nahe Kathmandu. Der Marsch dauert Tage. Doch jetzt, als die Erde bebte, fühlten sich die Patienten nicht einmal hier sicher. In Todesangst flüchteten sie panisch nach draußen, sofern sie laufen konnten, während zugleich schon Nepalesen aus umliegenden Dörfern und der schwer zerstörten Stadt Sankhu immer neue Verletzte herantrugen. Sie legten ihre weinenden schwerverletzten Familienmitglieder so wie im Land üblich vor dem Krankenhaus ab. Nach dem ersten Beben waren 75 Schwerverletzte hingebracht worden, bis zum 17. Mai waren es 209 Patienten.

Eine erfüllende Aufgabe

Ärzte und Helfer brauchen hier viel Improvisationstalent, leisten Notfall- statt Luxusmedizin in einem der ärmsten Länder der Welt. Für Ärzte wie den plastischen Chirurgen Jürgen Hußmann aus Lichterfelde eine besonders erfüllende Arbeit. Für ihre lebensrettende Aufgabe brauchen die Ärzte dringend Spenden.

„Ich war früher mehrfach in Indien, und ich wollte nachhaltig und mit Kontinuität helfen“, sagt der 58-jährige frühere Abteilungsleiter der plastischen Chirurgie der Parkklinik Weißensee und des Behring-Krankenhauses. Als Hußmann über den Mediziner-Hilfsverein „Interplast Deutschland“ das seit 1997 betriebene Sushma Koirala Memorial (SKM) Hospital mit einer 50-Betten-Station und zwei Operationssälen in Nepal kennenlernte, war ihm klar: Hier engagiere ich mich. Inzwischen ist Jürgen Hußmann Leiter der Sektion Nepal bei Interplast und zweimal im Jahr im SKM Hospital.

Kinder verletzten sich an den Feuerstellen

Sein Kollege Rüdiger Lohmann und er waren zum Zeitpunkt des ersten schweren Bebens 280 Kilometer Luftlinie westlich von Kathmandu. In einem entlegenen Bergdorf operierten sie in einem Camp vor Ort. Dann war am 25. April plötzlich alles anders. „Zum Glück ist unsere erdbebensicher gebaute Klinik nicht betroffen, nur an den Stützmauern der Kläranlage sieht man Risse“, sagt Hußmann. Viele Patienten flüchteten in Todesangst auch aus anderen, einsturzgefährdeten Kliniken, die Interplast-Einrichtung genießt einen guten Ruf. Es gab ja schon mehr als 80 Nachbeben und das neuerliche große Erdbeben. „Sobald die Erde wackelt, sind die Menschen panisch vor Angst“, sagt der Arzt. Im Sushma Koirala Memorial Hospital eine Fahrstunde von Kathmandu entfernt kümmern sich die rund 60 Mitarbeiter sonst oft um Brandverletzte. In den Hütten und Häusern in den Bergen kochen und heizen die Menschen mit offenem Feuer, da verletzen sich auch Kinder schnell. „Ein Drittel der Bevölkerung ist wegen der ständigen Rauchschwaden lungenkrank.“

Ein Problem sind die Narben der Brandverletzten, sie können so stark schrumpfen, dass sie die Bewegungsfreiheit der Gelenke aufheben und zu Versteifungen führen. So wie bei einem neunjährigen Mädchen, „sie hatte sich im Alter von drei Jahren schwer in der Leistengegend verbrannt. Seitdem steht einer ihrer Oberschenkel im 90 Grad-Winkel ab, in einer aufwändigen Operation muss das Narbengewebe ausgeschnitten und die Wunde mit gesunder Haut abgedeckt werden. Anschließend muss sie erst wieder lernen, sich zu bewegen.“ Deswegen sind im SKM Hospital auch Physiotherapeuten beschäftigt, die sich mit den Patienten über jeden kleinen Fortschritt freuen.

Ärzte bringen OP-Schrauben im Flugzeug mit

Jürgen Hußmann ist Hauptoperateur, zwei weitere von Interplast ausgebildete nepalesische plastische Chirurgen sind im Einsatz, vier nepalesische Ärzte in der chirurgischen oder der anästhesiologischen Weiterbildung. Viele der Fachleute lernen auch in China, in Russland, in Thailand und kommen dann, auch weil sie sich für eine Zeit verpflichtet haben, wieder zurück. Die Ärzte kümmern sich jetzt um viele Menschen mit Quetschungen, mit Hirnverletzungen, mit schlimmen Knochenbrüchen. Die SKM-Mitarbeiter mailen oder faxen die Röntgenbilder zu Medizinern in aller Welt, die die benötigten Platten und Schrauben im Gepäck mitnehmen. Nach dem Beben wurde im Carport der Krankenfahrzeuge notdürftig eine Unterkunft eingerichtet.

Nun bitten die Ärzte um Spendengelder, denn sie wollen alles benötigte medizinische Material im Land kaufen, um die lokale Wirtschaft zu stützen und auch zu verhindern, dass Hilfslieferungen ungenutzt am Zoll liegen, wie es derzeit häufig passiert. Die Patienten müssen auch einen Obolus geben, je nach Finanzstärke sind es ein paar Euro. Wer wie viel zur Verfügung hat, wird gecheckt durch Fragen nach den Familienangehörigen und ob es eine Ziege als Haustier gibt. Auch Mönche helfen im Land, das ist aber eine andere Wohltätigkeitsaktion als die von Interplast.

Jürgen Hußmann wird im November wieder zur Klinik reisen. Für Mediziner, die dort helfen wollen, ist der Aufenthalt erst ab vier Wochen sinnvoll, dann kann man alles verkraften und begreifen. Und doch arbeiten die deutschen Ärzte und das medizinische Pflegepersonal laut Hußmann „alle unentgeltlich und opfern ihren Urlaub für den Arbeitseinsatz“.

Infos über die Hilfsorganisation zur Finanzierung von Operationen für Patienten in armen Ländern:

www.interplast-germany.de

Das Spendenkonto für das SKM Hospital in Nepal:

Kreissparkasse Köln

IBAN: DE73 3705 0299 0000 0928 01

SWIFT-BIC COKSDE33

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