zum Hauptinhalt
Aufbruch. Intendant Jens-Peter Behrend radelt aus dem Hinterhof seines Theaters zur Kantstraße

© Doris Spiekermann-Klaas

Vaganten Bühne: Zirkus im Hinterhof

Draußen erfindet sich der Westen neu, da will Berlins ältestes Privattheater nicht nachstehen. Jetzt öffnet die Vaganten Bühne nach mehrmonatiger Renovierung wieder - mit "La Strada" nach dem Film von Federico Fellini.

Wie groß sind diese Augen, wie kastanienrund und brunnentief! Fast meint man, die echte Giulietta Masina vor sich zu haben, Federico Fellinis schöne, kindliche, traurige Ehefrau, die 1953 die unsterblichen Gelsomina gespielt hat – Dreh- und Angelpunkt von Fellinis erstem großen Films „La Strada“ neben Anthony Quinn als sprichwörtlich gewordenem großen Zampano. Es ist natürlich nicht die Masina, aber Frederike Haas ist mit roter Stupsnase, Akkordeon und eben diesen Mandelaugen nah dran. Die Bühne: bedeckt von Papierschnipseln, eine Manege, ein Zirkus – Welten, in denen sich Fellini am wohlsten gefühlt hat.

Gerold Theobalt hat aus dem Film ein Stück gemacht, am Mittwoch eröffnet die Vaganten Bühne damit programmatisch ihre neue Spielzeit – und zeigt zugleich: Wir sind wieder da, nach mehrmonatiger Schließung. Denn ringsum erfindet sich der Westen neu, am Breitscheidplatz ist das riesige Waldorf Astoria Hotel entstanden, Bikini-Haus, Zoopalast und die Tauentzienstraße werden generalüberholt, auch die Gedächtniskirche bekommt einen frischen Anstrich. Da will Berlins ältestes Privattheater nicht nachstehen – und hat die Technik runderneuert, eine große Entlüftungsanlage eingebaut, das Foyer verschönert und neue Stühle mit dunkelrotem Polsterbezug eingebaut. 600 000 Euro aus Lottomitteln hat das gekostet, auch die Berlin Immobilienmanagement GmbH als Verwalterin – das Gebäude, in dem sich auch das Delphi Kino befindet, gehört dem Land Berlin – hat was dazugetan.

Dass die neue Saison – es ist die 63. – ausgerechnet mit „La Strada“ eröffnet, ist natürlich Absicht. Fellinis Universum waren die Artisten, Gaukler, umherziehenden Künstler, wie sie auch heute noch in Italien auf öffentlichen Plätzen spontan auftreten, so als hätte das Mittelalter dort einfach nie aufgehört. Fahrendes Volk, Vaganten, das waren ja auch die Macher dieses Theaters in den Anfangjahren. Horst Behrend, der Vater von Intendant Jens-Peter Behrend, hat die Truppe 1949 ins Leben gerufen, noch vor Gründung der Bundesrepublik. „Ich komme aus einer Theaterfamilie“, erzählt Behrend. Sein Ururgroßvater Moses Behrend – die Familie war jüdisch – war Theaterarzt im pommerschen Kolberg, sein Großonkel Intendant in Frankfurt am Main. Die Familie ließ sich später taufen und ging nach Berlin, Behrens Großvater beging trotz Taufe Selbstmord, als die Verfolgungen der Nazis immer schlimmer wurden. „Nach der Katastrophe des Krieges wollte mein Vater ein Theater im Geist Schillers gründen, eine moralische Anstalt“, so Behrend. Gespielt wurden christliche Stücke von Autoren, die heute aber niemand mehr kennt. Die „Vaganten“ zogen tatsächlich umher, spielten in Turnhallen, Schulen, Kirchen. In den 50er Jahren bezogen sie das Kellergeschoss des Delphi Tanzpalastes, wo sie heute noch spielen. Die deutschen Bühnen entdeckten damals den Existentialismus. „Ich glaube, wir waren das erste Berliner Theater, das Sartre gespielt hat“, sagt Behrend. Daneben Camus, Genet, Giraudoux. Horst Behrend starb 1979, Jens-Peter Behrend führte das Haus mit seinem Bruder Rainer, der 2009 verstarb. Seither ist er alleiniger Intendant.

Clown. Frederike Haas zeigt als Gelsomina, wie lustig und traurig das Leben sein kann.
Clown. Frederike Haas zeigt als Gelsomina, wie lustig und traurig das Leben sein kann.

© Doris Spiekermann-Klaas

Lange war Schülertheater ein wichtiges Standbein der Vaganten Bühne. Das ändert sich. „Schüler machen heute nur noch rund 25 Prozent unseres Publikums aus“, sagt Behrend. Grund sei, dass sich viele junge Lehrer heute nicht mehr im gleichen Maß für Theater interessieren würden wie die ältere Generation, „und dann können sie natürlich auch nicht ihre Schüler dafür begeistern.“ Auch Berlins Jugendtheater par excellence, das Grips- Theater, muss heute zusehen, wie es sein Haus mit Abendvorstellungen für Erwachsene vollkriegt. So setzen die Vaganten auf sozialrealistisch-politische Stücke wie „Waisen“ von Dennis Kelly und auf Literarisch-Parodistisches wie den Dauerbrenner „Shakespeares Sämtliche Werke (in 90 Minuten)“, der seit 15 Jahren läuft – oder eben Poetisches wie „La Strada“. „Fellini liebte die kleinen Leute, aus ihrem Leben schuf er Menschheitskomödien“, sagt Regisseur James Edward Lyons, der zum zweiten Mal bei den Vaganten arbeitet. Mit seiner ersten Regie „Tingel Tangel“ wollte Lyons an Friedrich Hollaender erinnern, der 1931-1933 gleich gegenüber, im Keller des Theaters des Westens, eine Bühne betrieb. Diese Ecke an der Kantstraße liegt etwas versteckt. Doch sie hat Berliner Theatergeschichte geschrieben.

Vaganten Bühne, Kantstraße 12 a, Premiere „La Strada“ am Mittwoch, 20 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false