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Himmelspyramide. Aus der Ferne sieht der Blaue Obelisk noch gut aus.

©  Thilo Rückeis

Vandalismus in Berlin: Angriff auf die Glaspyramide

Beschossen, beworfen, bekleckert: Der Blaue Obelisk wurde einst aufgestellt, um den Theodor-Heuss-Platz aufzuwerten und um an die Opfer von Flucht und Vertreibung zu gedenken. Heute ist er Ziel von Zerstörungswut. In Berlin ist das kein Einzelfall.

Die Angriffe kamen von allen Seiten. Jeweils mehr als 20 Treffer aus Süden und Westen, und aus Norden und Osten waren die Einschläge kaum weniger dicht. Mehr als 70 Löcher zählt man in den Glaswänden des „Blauen Obelisken“ auf dem Theodor-Heuss-Platz in Charlottenburg, fast ausnahmslos im untersten, als Zielscheibe bequemsten Segment der sieben aufeinandergestapelten Quader – als sportliche Herausforderung haben die Kunstvandalen ihr zerstörerisches Treiben offenbar nicht begriffen.

Ein Bild des Jammers. Im Internet findet man ein sogar fünf Jahre altes Foto, auf dem Spuren des Beschusses zu erkennen sind. Die Berliner Künstlerin Hella Santarossa, Schöpferin der 1995 der Öffentlichkeit übergebenen Brunnenanlage mit dem Obelisken als Mittelpunkt, hat aber den Eindruck, dass es immer mehr und die Risse größer werden. Kürzlich war sie wieder einmal auf dem Platz, hat ihr Werk inspiziert und war schockiert: „Schlimmer als gedacht.“

Auch sonst ist die Anlage, einst Renommierobjekt zur Stadtverschönerung, in ihrer Ästhetik mittlerweile ziemlich eingeschränkt.

Auf einer Seitenwand des Edelstahlsockels hat es erst kürzlich einen Einschlag gegeben, der das Metall zwar nicht beschädigte, aber der Inhalt des Wurfkörpers (Bier? Saft? Joghurt?) hat großflächige Spuren hinterlassen. Das Wasser des Brunnens ist von unappetitlichem Grün, und nicht mal ganz oben auf der blauen Spitze ist der Obelisk vor Verschmutzung sicher: Dort und an den Stufen der Glaspyramide haben Tauben ihren Stammplatz und kleckern alles voll.

Einige der Löcher zeugen angeblich von einem Eifersuchtsdrama. Ein junger Mann hat Hella Santarossa vor einiger Zeit gestanden, die Pyramide beschossen zu haben, als sein Frust besonders heftig war. Aber die hohe Zahl der Treffer und vor allem ihr Ansteigen erklärt das nicht. Ausgelassene Teilnehmer früherer Loveparade-Umzüge vermutet die Künstlerin als Täter, vielleicht auch Fußballfans, die auf dem Weg vom Olympiastadion am Theodor-Heuss-Platz aus der U-Bahn quellen. Man kann sich da allerhand vorstellen: alkoholumnebelter Kopf, Enttäuschung über eine Niederlage – schnell möchte da der eine oder andere am liebsten etwas zerschmettern. Die naheliegende Vermutung aber, der Platz ziehe eine besondere, zu Vandalismus neigende Klientel an, wird von der Polizei zurückgewiesen. Aus ihrer Sicht sei er „kein Hotspot“, heißt es.

Der Blaue Obelisk - kein Einzelfall von Vandalismus in Berlin

Als der Obelisk am 22. September 1995 offiziell übergeben wurde, hatte er schon eine lange Vorgeschichte hinter sich. Bis 1980 reichten die Pläne zu einer Aufwertung des Platzes zurück, auf dem seit 1955 die Ewige Flamme des von den Landsmannschaften der deutschen Heimatvertriebenen aufgestellten Mahnmals brannte. Sie sollte bis zur Wiedervereinigung nicht verlöschen, wurde kurz danach aber erneut entzündet, zur Erinnerung an die Opfer von Flucht und Vertreibung. 1987 gewann Hella Santarossa den Wettbewerb für die Brunnenanlage, doch dauerte es noch einmal acht Jahre, bis der 15 Meter hohe Obelisk zu leuchten begann. Rund eine Million Mark kostete die Anlage, knapp ein Drittel hatte die Künstlerin über Sponsoren beschafft.

Die Künstlerin klagt auch über eine aus ihrer Sicht zu nachlässige Pflege der Anlage. So führt sie die Vorliebe der Tauben für ihr Werk auf die Verschmutzung der Absätze zwischen den sieben Quadern zurück. Sie habe dort extra schräge Aluminiumschienen angebracht, auf denen die Vögel keinen Halt finden sollen, was sie mittlerweile aber doch tun. Auch sollten die Bäume auf dem Platz mal wieder gestutzt werden, die den Blick auf ihr Werk behinderten.

Das dürfte freilich den Widerspruch der Naturfreunde herausfordern, und was den Schmutz betrifft, verweist Klaus-Dieter Gröhler, im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf der zuständige Stadtrat, auf die Grundreinigung, die erst vor drei Wochen erfolgt sei, samt Entfernung der Graffiti. Die laufende Unterhaltung habe die Wall AG übernommen, die man gebeten habe, den Zustand der Anlage noch einmal zu überprüfen und gegebenenfalls nachzuarbeiten. Fragt sich nur, was aus den bombardierten Glaswänden wird. Sie sind aus mundgeblasenen Platten zusammengesetzt und verklebt, mit handgeschriebenen, dann hineingeätzten Texten, Fragmenten, Schlagworten, auch Informationen zum Platz – meist zeitbezogen, heute würde sie ganz anderes auswählen, sagt die Künstlerin. Vielleicht sei zumindest eine kosmetische Reparatur möglich, sie müsse darüber nachdenken.

Ein ärgerlicher, aber kein Einzelfall in Berlin. Immer mal wieder wurden Kunstwerke zum Ziel von Vandalismus – und nicht immer sind die Spuren so leicht zu beseitigen wie vor einigen Monaten die Spätzle an der Käthe-Kollwitz-Statue auf dem nach ihr benannten Platz. Mit Grausen erinnert man sich in der Berliner Kunstszene an die schweren Schäden, die 1982 ein psychisch kranker Student in der Neuen Nationalgalerie dem kurz zuvor für 2,7 Millionen Mark erworbenen Gemälde „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ von Barnett Newman zufügte. 2004 randalierte eine junge, offenbar ebenfalls verwirrte Frau in der umstrittenen Flick-Ausstellung im Hamburger Bahnhof und sprang auf zwei Werken des US-Künstlers Gordon Matta-Clark herum. Beliebte Angriffsziele sind auch die Denkmäler der Stadt, die beschmiert oder mitunter sogar gestohlen werden oder von denen Teile abgebrochen werden. Goethe, Lessing, Döblin, Bülow, Bolivar – sie alle hat es schon getroffen. So wurde dem südamerikanischen Freiheitshelden 1998, kurz nach der Aufstellung des Denkmals vor dem Ibero-Amerikanischen Institut an der Potsdamer Straße, der Säbel abgebrochen, der lehnte danach erst mal im Büro des Direktors an der Wand. Seit einiger Zeit ist der Held zum Glück wieder komplett – mit Säbel.

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