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Berlin: Verdurstetes Kind: Mutter schuldunfähig? 24-Jährige erneut wegen Mordes vor Gericht

An einem Abend im November 2001 nahm Veronika W. ihren Mantel, zog die Tür des Kinderzimmers zu und ging einfach.

An einem Abend im November 2001 nahm Veronika W. ihren Mantel, zog die Tür des Kinderzimmers zu und ging einfach. Sie kehrte nicht mehr zurück zu ihrem zweijährigen Sohn. Sie nahm Drogen, stürzte sich ins Nachtleben und schlief sich bei Bekannten aus. Der kleine AlisanTuran verdurstete. Die Mutter hat ihren Sohn grausam ermordet. Das steht inzwischen fest. Aber war Veronika W. auch voll schuldfähig? Mit dieser Frage muss sich seit gestern das Landgericht noch einmal befassen. Veronika W. war im Februar vergangenen Jahres zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die damaligen Richter hatten keinerlei Zweifel an ihrer Schuldfähigkeit. Mit ihren Begründungen aber konnten sie die höchsten Strafrichter nicht überzeugen. Nun muss auf Anordnung des BGH geklärt werden, ob Veronika W. durch Drogen oder Depressionen vermindert schuldfähig gewesen sein könnte. In diesem Fall wäre eine Strafe zwischen drei und 15 Jahren möglich. Die Mutter, eine Frau mit einem ernsten runden Gesicht, ist inzwischen 24 Jahre alt. Sie war Anfang der 90er Jahre mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Mit 13 Jahren riss sie das erste Mal aus, ging auf den Strich. Im Dezember 1999 bekam sie mit Unterstützung der Ämter eine Wohnung in Wilmersdorf. Knapp zwei Jahre lang kümmerte sie sich gut um Alisan-Turan.

„Wie kam es, dass Sie sich entschlossen, die Wohnung zu verlassen“, fragte nun der Vorsitzende Richter Josef Hoch. „Das weiß ich nicht“, antwortete sie. „Ich habe ganz viele Filmrisse.“ Sie habe sich schon Wochen vor dem Novemberabend oft überfordert und kraftlos gefühlt, sich auch nicht mehr beim Sozialamt gemeldet. „Aber den Kleinen habe ich gefüttert und gewindelt“, versicherte die Angeklagte. Zwei bis drei Mal die Woche sei sie auf den Strich gegangen. „Und ich habe viel Haschisch geraucht.“ Sechs Wochen nach ihrem Verschwinden wurde die Wohnung aufgebrochen. Nachbarn hatten sich über Gestank beschwert. Die Feuerwehrleute fanden in einer Ecke des Kinderzimmers die mumifizierte Kindesleiche. „War Ihnen nicht bewusst, dass das Kind sterben würde?“, fragte der Richter. Die Mutter überlegte kurz. „Ich glaube nicht“, meinte sie dann. Sie sei ohne Ziel gegangen, habe auch nicht geplant, ihren Sohn zu verlassen. Am kommenden Freitag soll der psychiatrische Gutachter zu Wort kommen. K. G.

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