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Berlin: Verfallserscheinung

Der Auswandererbahnhof in Ruhleben ist Ruine Der Denkmalschutz kam zu spät.

Berlin - Viele Berliner Bahnhöfe existieren nur noch dem Namen nach. Vom Auswandererbahnhof in Ruhleben wusste man nicht einmal, dass es ihn überhaupt gibt. Und nun, wiederentdeckt, scheint es fast zu spät zu sein. Der vergangene Winter setzte dem Bahnhof zu, ließ Teile des Dachs einstürzen, dabei steht das Gebäude seit 2010 unter Denkmalschutz. Doch der kam wohl auch zu spät.

Ein „schwieriges Gebäude“, sagt Dieter Nellessen, Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde von Spandau. Als der Bahnhof noch der Vivico gehörte und damit der Deutschen Bahn, habe er mehrfach angemahnt, das Gebäude zu erhalten, doch damals gab es noch keinen Denkmalschutz. Das Gebäude rottete vor sich hin, inzwischen ist es verkauft. Der neue Eigentümer ist für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Er stehe mit dem Eigentümer in Kontakt, sagt Nellessen. Wahrscheinlich werden die Verhandlungen auf einen Kompromiss hinauslaufen: Ein Teil des Fachwerkgebäudes wird abgerissen, der andere rekonstruiert. „Der Investor ist willens, die Stimmung ist gut.“ Möglicherweise gibt es also doch noch eine Chance, das „letzte Zeugnis“ der Berliner Auswanderergeschichte zu erhalten. Genaugenommen ist es kein Bahnhof, sondern nur die „Unterkunftsbaracke“ einer größeren Bahnhofsanlage.

Der Auswandererbahnhof entstand 1891, um den Strom von Emigranten nach Amerika, vor allem aus Russland und Österreich-Ungarn, zu kanalisieren. Die „Fremden aus dem Osten“, darunter viele Juden, sollten den Berlinern nicht zu nahe kommen, man befürchtete das Einschleppen von Krankheiten. Die Reisenden mussten vor dem Weitertransport ein Bad nehmen, ihre Kleidung wurde desinfiziert. Betrieben wurde der Bahnhof samt Lazarett und Baracken von den Übersee-Reedereien aus Hamburg und Bremen. Die Unterkünfte waren spärlich eingerichtet, die Gäste hatten wenig Geld. Nach kurzem Aufenthalt wurden die Auswanderer in geschlossenen Waggons direkt zu den Häfen gebracht.

Millionen von Osteuropäern, aber auch viele Deutsche, wanderten bis zum Ersten Weltkrieg nach Amerika aus, ein einträgliches Geschäft für die Reedereien. Berlin war eine wichtige Durchgangsstation, weil es wie eine Spinne im preußischen Eisenbahnnetz hing. In Bremen und Hamburg gibt es publikumswirksame Ausstellungen zur Auswanderung, in Berlin wird allenfalls im jüdischen Museum an die Migranten aus Osteuropa erinnert.

„Ein interessantes Kleinod“, findet Michael Rothe vom „Verkehrspolitischen Informationsverein“. Rothe und seine Mitstreiter versuchen, den Auswandererbahnhof ins Licht der Aufmerksamkeit zur rücken, bislang blieben die Reaktionen bei potenziellen Kooperationspartnern recht verhalten. Im Bremer Auswanderermuseum habe man zwar Interesse gezeigt, für eine Dependance in Berlin gebe es aber keine rechtliche Grundlage. Auch Nellessen fragt sich, was man eigentlich mit dem Bahnhof, wenn er denn saniert ist, anstellen könnte. Das Originalinventar ist komplett verschollen. Auch Fotos und Dokumente sind äußerst rar.

Der Auswandererbahnhof ist nur eines von 500 Denkmälern in Spandau. Auf der Berliner Denkmalliste sind rund 8000 Objekte verzeichnet. Wieviele davon in einem ruinösen Zustand sind, kann die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht sagen. In der Peripherie der Stadt sind es naturgemäß mehr als im Zentrum. Eines davon ist das „Eierhäuschen“, ein holzverzierter Backsteinbau im Spreepark, entstanden zur gleichen Zeit wie der Auswandererbahnhof. Der Vorgängerbau von 1837 am gleichen Standort wird im Fontane-Buch „Der Stechlin“ erwähnt. Auch dem Eierhäuschen droht der langsame Tod durch Vergessen. Thomas Loy

Informationen zum Auswandererbahnhof: www.vivev.de. Informationen zum Eierhäuschen: www.berliner-spreepark.de

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