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Berlin: Verfassungsschutz führte noch im Sommer 1999 einen ehemaligen MfS-Kader

Der Verfassungsschutz hat über Jahre einen ehemaligen Stasi-Hauptmann als V-Mann geführt. Der ehemalige MfS-Hauptamtliche mit dem Decknamen "Förster" war zuerst auf Stasi-Nachfolgegruppen angesetzt.

Der Verfassungsschutz hat über Jahre einen ehemaligen Stasi-Hauptmann als V-Mann geführt. Der ehemalige MfS-Hauptamtliche mit dem Decknamen "Förster" war zuerst auf Stasi-Nachfolgegruppen angesetzt. Nach deren Auflösung lieferte er Informationen über die "Kommunistische Plattform" der PDS. Im Juni 1999 teilte die Innenverwaltung mit, dass der Verfassungsschutz jede Zusammenarbeit mit ehemaligen Stasi-Leuten beendet habe. Doch nach Informationen des Tagesspiegel wollte das Landesamt für Verfassungsschutz den Spitzel nicht ganz verlieren. "Förster", so die Idee der Verfassungsschützer, solle vom Verfassungsschutz Thüringen geführt werden, aber weiterhin aus Berlin berichten.

Verfassungsschutz-Chef Eduard Vermander kontaktierte dafür im Sommer vergangenen Jahres persönlich den Leiter des thüringischen Geheimdienstes, Helmut Roewer. Roewer erklärte sich demnach bereit, den Verbindungsmann zu übernehmen. Bei einem Gespräch im Spätsommer 1999 soll der Berliner V-Mannführer die Quelle "Förster" dann gefragt haben, ob er bereit sei, für ein anderes Amt weiter zu arbeiten. "Förster" habe zugesagt. Noch mindestens bis September 1999 fanden Treffen zwischen "Förster" und Berliner Beamten statt. In Verfassungsschutzkreisen hieß es, die geplante Übernahme des V-Mannes durch Thüringen habe sich schließlich zerschlagen. Werthebachs Sprecher Stefan Paris bestätigte gestern, dass es auch nach Juni Gespräche mit der Quelle gegeben habe, die aber lediglich einer sozialen "Nachsorge" gedient hätten. Es seien nach Juni "keinerlei Informationen mehr geflossen".

Dem Tagesspiegel liegen seit einigen Wochen Informationen über den Fall vor. Am vergangenen Wochenende fragte diese Zeitung bei Werthebach um eine Stellungnahme nach. Der Innensenator bat aus Rücksicht auf die Person des V-Mannes darum, die Informationen vorerst nicht zu veröffentlichen. Am Montag fanden daraufhin in der Innenverwaltung Krisengespräche mit der Spitze des Verfassungsschutzes statt; im Amt herrscht seitdem helle Aufregung. Am Montagnachmittag informierte der Senator die Regierungsfraktionen von SPD und CDU über den Fall. Ein Pressebericht vom Freitag beantwortete schließlich die Frage, wie gefährdet die Identität des V-Mann ist: Die Berliner Morgenpost berichtete über den Informanten so detailliert, dass eine Enttarnung nun möglich ist. Daraufhin forderte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Klaus-Uwe Benneter gestern eine Sondersitzung des Verfassungsschutzausschusses.

In der Kritik steht die Zusammenarbeit mit ehemaligen MfS-Mitarbeitern bereits seit der "Dreksler-Affäre" 1998. Ein ehemaliger Stasi-Spitzel, der für den Verfassungsschutz arbeitete, hatte den leitenden Polizeibeamten Otto Dreksler fälschlich als Scientologen bezeichnet. Daraufhin wurde Dreksler suspendiert, später versetzt. Der damalige Innensenator JörgSchönbohm gab im Herbst 1998 schließlich zu, das Landesamt arbeite mit "weniger als einem halben Dutzend" ehemaliger MfS-Mitarbeiter zusammen. Die Stasi-Leute, so Schönbohm, seien nötig, um das Fortwirken des DDR-Geheimdienstes zu überwachen.

Nach dem Dreksler-Desaster kritisierten SPD und Opposition die Beschäftigung von MfS-Leuten. Dies sei eine "grausige Vorstellung", monierte der damalige SPD-Fraktionschef Klaus Böger. Schließlich erklärte sich die Innenverwaltung bereit, sämtliche V-Männer mit Stasi-Vergangenheit "abzuschalten". Den Vollzug vermeldete der damalige Staatssekretär Kuno Böse am 24. Juni 1999: "Das Landesamt für Verfassungsschutz arbeitet nicht mit ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit zusammen."

Doch noch nach dieser Aussage fanden mehrere Treffen mit "Förster" statt, bei denen auch über die Frage gesprochen worden sein soll, wie der V-Mann weiter agieren könne und wie er sich verhalten solle. Ursprünglich hatten die Verfassungsschützer ehemalige MfS-Mitarbeiter bezahlt, um Informationen über Stasi-Nachfolgeorganisationen zu erhalten. Doch seit Mitte der 90er Jahre sind fast alle Verbindungen ehemaliger MfS-Leute eingeschlafen. Deshalb wurden einige V-Leute "abgeschaltet", andere auf neue Themengebiete angesetzt - wie V-Mann "Junior" alias Adolf P., jener Informant, der die Scientology-Sekte beobachtete und damit den Dreksler-Skandal auslöste.

Der nun aufgeflogene V-Mann "Förster" lieferte seit längerem gegen einen monatlichen Lohn ausgezeichnete Informationen über die "Kommunistische Plattform", wie es heißt. Pikanterweise war "Förster" bereits in der DDR mit der Ausspionierung der Opposition befasst. In einem von Generalleutnant Wolfgang Schwanitz erarbeiteten Plan zur Besetzung West-Berlins war "Förster" Mitte der 80er Jahre für die Leitung der zu schaffenden MfS-Kreisdienststelle Wilmersdorf vorgesehen. Die Schwanitz-Verbindung ist auch deshalb interessant weil ein Verwandter von Schwanitz nach der Wende ebenfalls als V-Mann für den Berliner Verfassungschutz gearbeitet hatte. Er flog vor einigen Wochen im Zusammenhang mit der Dreksler-Affäre ebenfalls auf.

Holger Stark

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