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Disco Tanz

© ddp

Vergewaltigung: Böses Erwachen

Mit K.-o.-Tropfen betäubt und anschließend vergewaltigt: Opferberatungen sehen neue Gefahr für Frauen. Die Zahl der angezeigten Fälle nimmt zu. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch viel höher.

Als sie aufwachte, konnte sie sich an nichts erinnern: Sie lag auf einem ihr fremden Treppenaufgang. Ihre Unterwäsche war mit Blut befleckt. Die 22-jährige Lisa (Name geändert) weiß, dass sie wahrscheinlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Doch beweisen kann sie es nicht. Sie vermutet, dass sie in der Party-Nacht von jemandem mit so genannten K.-o.-Tropfen betäubt, in eine Wohnung gebracht und vergewaltigt wurde – dann hat sie dieser Jemand in den ihr fremden Treppenflur gelegt. Wahrscheinlich war es der „nette Typ“, den sie auf der Party kennen gelernt hat, und zu dem in ihrem Gehirn nun allenfalls Erinnerungsblitze aufflackern.

Fälle wie der von Lisa bekommen die Mitarbeiter von Opferschutzberatungen und der Fachstelle für Suchtprävention in den vergangenen Monaten häufiger zu hören. Es heißt, bundesweit hätten sich im vergangenen Jahr rund 300 Frauen bei Notrufen gemeldet, alle mit dem gleichen Verdacht: durch eine Droge betäubt und anschließend vergewaltigt worden zu sein. Bei „Lara“, einem Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte Frauen in Schöneberg wissen die Mitarbeiter von zehn solcher Fälle pro Jahr. Doch sie vermuten, dass die Dunkelziffer viel höher ist, „weil sich viele junge Frauen so schämen, dass sie sich nicht beraten lassen und erst recht nicht zur Polizei gehen“, sagt eine Mitarbeiterin.

Die Experten sind sich sicher, dass es nicht der eine oder andere Cocktail war, der die jungen Frauen außer Gefecht gesetzt hat. Naheliegender ist, dass die Opfer mit K.-o.-Tropfen „handlungsunfähig“ gemacht wurden. Hier handelt es sich um die flüssige, farblose Droge GHB (Gamma-Hydroxybutyrat), die zur Bewusstlosigkeit führen kann (siehe Kasten). In der Szene wird GHB auch „Liquid Ecstasy“ genannt, obwohl GHB mit der Droge Ecstasy nichts zu tun hat, sagt Kerstin Jüngling, Leiterin der Fachstelle für Suchtprävention. „Wir wissen, dass diese Taten immer wieder passieren, auch wenn wir sie statistisch nicht nachweisen können“, sagt sie. Die Gründe sind vielfältig: Die Mädchen und jungen Frauen plagten Schuldgefühle, sagt Jüngling. Habe ich nicht doch zu viel Alkohol getrunken? „Welches Mädchen will sich schon selbst eingestehen, dass es derart die Kontrolle über sich verloren hat“, gibt Jüngling zu bedenken. Außerdem vergingen in der Regel einige Stunden, bis die Opfer vereinzelte „Erinnerungsfetzen“ wahrnehmen. Überwindet sich eine junge Frau dann doch, zur Polizei zu gehen, ist wieder einige Zeit vergangen. Kostbare Zeit, denn das GHB ist im Urin nur etwa zwölf Stunden nachweisbar.

Die Polizei spricht von „Einzelfällen“, die zur Anzeige gebracht werden. „Das Phänomen ist seit Jahrzehnten bekannt, aber es ist in der letzten Zeit keine Häufung von Sexualstraftaten, bei denen K.-o.-Tropfen zur Anwendung kamen, festzustellen“, sagt ein Pressesprecher. Zudem betont er, dass es „schwierig“ sei, wenn eine junge Frau einen solchen Verdacht schildert, ohne dass es einen Anhaltspunkt oder Beweis gibt. Doch das sei genau der Grund, weshalb die meisten Opfer gar nicht erst zur Polizei gehen, erwidert man bei der Beratungsstelle.

Auch bei der Staatsanwaltschaft landen regelmäßig Anzeigen zu Raubtaten auf dem Tisch, bei denen K.-o.-Tropfen im Spiel gewesen sein sollen, sagte ein Ermittler. Doch wenn es – wie so häufig – keinen Tatverdächtigen gibt, werden die Verfahren rasch wieder eingestellt. Kestin Jüngling sagt, es sei wichtig das Thema aus der „Tabu-Zone“ zu holen. Das bedeutet, auch Gastwirte, Disko-Betreiber und Lehrer über dieses Phänomen aufzuklären. „Denn so können Opfer vielleicht gewarnt werden“, sagt sie. Damit es den jungen Mädchen nicht irgendwann so ergeht wie Lisa.

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