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Warten auf Fahrgäste. Stärker als in anderen Großstädten leben Berliner Fahrer vom „Ad-hoc-Geschäft“ auf der Straße. Nur 1400 Touren am Tag vermittelt laut Gutachten die wichtigste Zentrale. In Hamburg sind es dagegen durchschnittlich 6000 Fahrten.

© Jens Kalaene/dpa

Verkehr in Berlin: Taxi-Unternehmer betrügen systematisch

Schattenwirtschaft durch Schwarzfahrer: Ein Gutachten bestätigt systematischen Betrug im Taxigewerbe. Gleichzeitig machen die Ersteller dem Senat Vorwürfe.

Das Gutachten ist niederschmetternd: Die Mehrheit der Berliner Taxis werden demnach von irregulär arbeitenden Unternehmen betrieben; auf dem Markt herrscht durch eine massive Schattenwirtschaft durch Schwarzfahrer, aber auch durch einen extremen Wettbewerbsdruck, eine bundesweit einmalige betriebswirtschaftliche Schieflage. Dem Senat werfen die Gutachter vor, die Aufsicht vernachlässigt zu haben. Jetzt müsse entschieden werden, wie gegen „Intensivtäterbetriebe“ vorgegangen werden könne, erklärte die Senatsverkehrsverwaltung am Montag.

Sie hatte das Marketing-Forschungsunternehmen Linne + Krause mit einem Gutachten zur Wirtschaftlichkeit des Berliner Taxigewerbes beauftragt. Es sollte Grundlage für spätere Preisrunden sein; die Tarife müssen von der Verkehrsverwaltung genehmigt werden, was in der Vergangenheit häufig zu Auseinandersetzungen zwischen den Gewerbevertretern und der Verwaltung geführt hatte. Die Verkehrsverwaltung veröffentlichte jetzt das Gutachten, dessen Ergebnis alle Befürchtungen übertrifft.

Dass es im Gewerbe mit den elfenbeinfarbenen Wagen viele „schwarze Schafe“ gibt, die bei der Steuer betrügen, hatte, wie berichtet, Gewerbevertreter Stephan Berndt bereits vor kurzem dem Tagesspiegel gesagt. Die Mehrheit aber sei ehrlich, war er überzeugt. Im Gutachten heißt es nun aber, rund 77 Prozent der Taxis würden von irregulär arbeitenden Unternehmen betrieben. Im Zentrum der Schattenwirtschaft stehe ein überschaubares Feld von etwa 130 „Intensivtäterbetrieben“ mit zuweilen vielen Dutzend Fahrzeugen.

Aufdeckungsrisiko "überschaubar"

Dabei sei der Verschleierungsaufwand der irregulär arbeitenden Betriebe „auffällig gering“, heißt es weiter. Weil es in der Aufsichtsbehörde – dem zur Senatsinnenverwaltung gehörenden Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) – zu wenig Personal gebe, könnten Betriebe, die betrügen, offenkundig auf das Fehlen einer effektiven Kontrolle vertrauen, schreiben die Gutachter. Das Aufdeckungsrisiko sei ein „überschaubares Berufsrisiko.“

In Berlin sei rechnerisch ein Labo-Mitarbeiter für 794 Fahrzeuge zuständig, in Hamburg dagegen seien es nur 471. Vor einer inzwischen erfolgten Stellenzunahme musste sich 2011 in Berlin ein Kontrolleur sogar um 1463 Fahrzeuge kümmern.

Und weiter steht im Gutachten: „Aus der unter anderem personell bedingten unzulänglichen Aufsicht konnte sich flächendeckend ein Milieu entwickeln, das mittels Steuerhinterziehung und Sozialbetrug die öffentlichen Kassen erheblich schädigt und eine beispiellose Wettbewerbsverzerrung hervorgebracht hat.“ Schon vor Jahren hatte die Grünen-Abgeordnete Claudia Hämmerling geschätzt, dass den Finanzämtern jährlich rund 50 Millionen Euro vorenthalten würden.

Gäbe es eine effektivere Aufsicht, heißt es im Gutachten weiter, wäre die große Mehrheit der Taxibetriebe von Konzessionsentzügen bedroht. Bisher sei die Zahl der widerrufenen oder versagten Genehmigungen „auffällig niedrig.“

Die wenigen ehrlichen Unternehmen sind nach Ansicht der Gutachter einem „dramatischen Verdrängungswettbewerb“ ausgesetzt. Nur Unternehmen, die ihren Fahrern Zugriff auf Schwarzeinnahmen und – mit Hilfe von unzutreffenden Lohnnachweisen – Zugriff auf staatliche Transferzahlungen verschafften, bekämen noch ausreichend Personal.

Als einen Grund für die Schattenwirtschaft sehen die Gutachter die vergleichsweise geringen Erlöse der Berliner Fahrer. Professionelle Unternehmen seien in den vergangenen Jahren auf durchschnittlich 54 300 Euro gekommen; in Ulm oder Fulda, wo es funktionsfähige Taximärkte gebe, seien es rund 75 000 Euro gewesen. In Hamburg, das seine Taxis seit Jahren scharf kontrolliert, lägen die Erlöse durchschnittlich bei 69 300 Euro. In der Spitze würden sogar bis zu 150 000 Euro erreicht. Aber auch einzelne Berliner Unternehmen schafften knapp die Marke von 100 000 Euro.

Senat lehnt Konzessionsstopp ab

Firmen, die im Nebenbetrieb fahren, lägen in Berlin mit Erlösen zwischen 26 900 Euro (ein Fahrzeug) und 35 000 Euro (mehrere Fahrzeuge) „weit jenseits der betriebswirtschaftlichen Plausibilität“, schließen die Gutachter.

Auffallend sei, dass es in Städten, die die Zahl der Konzessionen aktiv begrenzen, besser stehe. Einen Konzessionsstopp lehnt die Senatsverkehrsverwaltung derzeit aber ab. Er habe allein die Aufgabe, die Funktionsfähigkeit des Taxigewerbes zu sichern. Er dürfe aber nicht gezielt angeordnet werden, um Schwarzarbeit einzudämmen, teilte die Verwaltung mit. Ein Konzessionsstopp sei auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit.

Richtig sei es, sich jetzt auf die 130 „Intensivtäterbetriebe“ zu konzentrieren, sagte Reinhard Ehringfeld vom Taxiverband Berlin. Wenn das Labo weiteres qualifiziertes Personal erhalte, sollte der existenzbedrohende Zustand für die ehrlichen Unternehmen beendet werden können. Und Berndt hatte angedeutet, dass es dann sogar möglich sein könnte, auf Preiserhöhungen zu verzichten.

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