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Analyse: BVG und S-Bahn müssen dringend in die Werkstatt

Täglich fallen in Berlin Busse und Züge aus – der Nahverkehr steckt in der Krise. Eine Analyse der Probleme.

Die Zukunft der S-Bahn soll BVG heißen. Dafür plädieren SPD und Linke, wenn es um die Zeit nach 2017 geht und der Verkehrsvertrag der S-Bahn mit dem Senat ausgelaufen ist. Was aber bringt der Zusammenschluss zweier Unternehmen, die große Probleme haben? Nachfolgend zeigen wir, wo BVG und S-Bahn stehen.

DAS ANGEBOT IN DER THEORIE

Keines der Unternehmen agiert selbstständig. Der Senat bestellt die Leistung der BVG und zusammen mit Brandenburg auch das Angebot der S-Bahn und zahlt dafür einen Zuschuss. Wird die Bestellung nicht erfüllt, gibt es Abzüge – wie derzeit bei der S-Bahn, bei der der Senat seit Beginn der Krise bisher rund 57 Millionen Euro einbehalten hat. Aber auch die BVG hat den Verkehrsvertrag nicht voll erfüllt, weil beim Bus zu viele Fahrten ausgefallen sind.

DAS ANGEBOT IN DER PRAXIS

Die S-Bahn fährt seit eineinhalb Jahren nur noch nach einem Krisenfahrplan, weil die Achsen und Räder der Fahrzeuge bruchgefährdet sind und bis zum Austausch häufiger kontrolliert werden müssen. Fahrten fallen aus, Züge sind mit weniger Wagen als vorgesehen unterwegs. Bereits im Winter 2009 war der Verkehr fast zusammengebrochen, weil sicherheitsrelevante Anlagen vereist waren; im Dezember 2009 blieben die Züge dann stehen, weil Schnee die Antriebsanlagen massenweise lahmgelegt hatte. Verspätungen haben zugenommen, weil die Züge nur noch mit Tempo 80 statt 100 fahren dürfen. Massenausfälle gab es auch, weil die Bremsen jahrelang nicht vorschriftsmäßig gewartet wurden.

Fahrten fallen auch bei der BVG aus – verteilt im Netz, so dass sie nicht so leicht auffallen wie bei der S-Bahn. Betroffen ist vor allem der Busverkehr, dessen Pünktlichkeit derzeit nur bei 87 Prozent liegt. Wie die S-Bahn hat auch die BVG Probleme mit den Fahrzeugen. Bei den Doppeldeckern müssen Achsen ausgetauscht werden, die nicht bruchfest sind; zudem rosten die Busse. Ferner musste das Unternehmen zugeben, dass die Wartung mangelhaft war. Angeordnet wurden die Prüfungen, weil acht Busse gebrannt hatten. Mehrfach zog auch die Polizei Busse wegen Mängeln aus dem Verkehr. Ausfälle entstanden zudem, weil Fahrer fehlten, wie zuletzt bei der Tram.

DIE SPARVORGABEN

Beide Unternehmen mussten bisher sparen, bis es „quietscht“. Bei der S-Bahn wollte der Bahnkonzern Gewinne sehen; bei der BVG geizte der Senat mit den Zuschüssen, die nicht ausreichen, um die Kosten zu decken. Angesetzt wurde der Rotstift in beiden Unternehmen vor allem beim Personal – und dort auch bei Fahrern und in Werkstätten. Inzwischen hat die S-Bahn die bereits geschlossene Werkstatt in Friedrichsfelde wieder eröffnet und wie die BVG auch zusätzliches Personal für die Werkstätten eingestellt.

DIE ORGANISATIONSPROBLEME

Bei Innovationen haben beide Unternehmen kein glückliches Händchen. Die inzwischen abgelöste frühere Geschäftsführung der S-Bahn hat es fertiggebracht, im Vorgriff auf ein neues Abfertigungssystem die meisten Zugabfertiger von den Bahnsteigen abzuziehen, obwohl die neue Technik nicht zugelassen war und bis heute auch noch nicht ist. Seither müssen die Triebfahrzeugführer zum Abfertigen der Züge bei Wind und Wetter ihre Kabine verlassen. Durch das Abziehen der Aufsichten aus ihren Diensträumen auf den Bahnsteigen spart die S-Bahn aber immerhin die Miete, die sie vorher konzernintern an den Bereich Station und Service überweisen musste.

Die BVG führte im Sommer eine neue Software für die Dienstpläne und den Fahrzeugeinsatz ein, die bis heute nicht funktioniert. Probleme gibt es vor allem bei den Dienstplänen. Statt zwei Wochen im Voraus erfahren Fahrer häufig erst fünf Tage vorher, wann sie zu welchen Zeiten arbeiten sollen. Vor Jahren hatte die BVG bereits einen zweistelligen Millionenbetrag versenkt, weil beim Einführen eines neuen Verkaufssystems geschlampt worden war.

DAS UNZUFRIEDENE PERSONAL

Die Stimmung unter den Mitarbeitern ist in beiden Unternehmen schlecht. Häufig sind – außerhalb der Verwaltung – Überstunden fällig, weil nach dem Ausscheiden von Kollegen und dem Nichtbesetzen von Stellen nur so das Arbeitspensum noch erledigt werden kann. Zum kurzfristigen Ablösen von Triebfahrzeugführern bei der S-Bahn fehlt zum Beispiel oft das Personal. Muss ein Fahrer zur Toilette, bleibt einfach der Zug stehen, falls es überhaupt noch sanitäre Anlagen auf den Bahnhöfen gibt. Das Chaos bei der S-Bahn hat dazu geführt, dass bei vielen Mitarbeitern der Stolz, ein S-Bahner zu sein, inzwischen verflogen ist.

Nicht viel besser sieht es oft bei der BVG aus. In der jüngsten Mitarbeiterbefragung waren – bei geringer Beteiligung – nur 52 Prozent mit ihrer beruflichen Gesamtsituation zufrieden. In vergleichbaren Unternehmen liegt die Zufriedenheit nach Angaben der BVG bei 71 Prozent. Bemängelt wird eine mangelhafte Kommunikation im Unternehmen und Eigenbrötelei der verschiedenen Bereiche.

DIE VERTAGTEN ENTSCHEIDUNGEN

Die S-Bahn und die U-Bahn brauchen neue Fahrzeuge. Die S-Bahn hält sich bei der Bestellung zurück, weil nicht geklärt ist, wer nach Auslaufen des Verkehrsvertrags den Betrieb ab Mitte Dezember 2017 fortsetzt. Und die BVG braucht für den Kauf neuer Züge die Zustimmung – und das Geld – des Senats, was bis heute fehlt. Das Unternehmen hatte deshalb bereits ausgerechnet, welche Folgen es hätte, wenn man die U 3 (Nollendorfplatz–Krumme Lanke) und U 4 (Nollendorfplatz–Innsbrucker Platz) einstellen würde.

DIE KONSEQUENZEN

Der Bahnvorstand hat im Sommer 2009 die gesamte vierköpfige Geschäftsführung der S-Bahn abgelöst. Der ehemalige Chef Tobias Heinemann hat das Unternehmen nach Abschluss eines Auflösungsvertrags verlassen. Der frühere Technikchef Ulrich Thon ist inzwischen Werkleiter für die Stadt Laboe und soll dort unter anderem das Hallenbad auf Vordermann bringen.

Bei der BVG hat der Senat den Vertrag mit dem früheren Chef Andreas Sturmowski nicht verlängert. Seine Nachfolgerin ist seit Anfang Oktober Sigrid Nikutta. Buschef Johannes Müller musste gehen; die Kündigung erhielt er noch von Sturmowski wenige Tage vor dessen Ausscheiden. Neuer Leiter für den Busbereich ist seit Mitte November Martin Koller, ein studierter Bauingenieur.

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