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Ausfälle und Mängel: Wer findet den Weg aus dem Chaos bei der Bahn?

Verspätungen, Ausfälle und Mängel bei S-Bahn und Fernverkehr – die Bahn ist ein Sanierungsfall. Eine Suche nach Ursachen und Perspektiven.

Bahn-Chaos und kein Ende: Nach den zahllosen Verspätungen und Zugausfällen, sowohl bei der Berliner S-Bahn als auch im Fernverkehr, bestellte die Politik die Bahn-Spitze am Montag zum Rapport. Erst im Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses, dann bei den Länder-Verkehrsministern musste Bahnchef Rüdiger Grube erklären, wann und wie er die Probleme in den Griff bekommen will. Auf einen Termin wollte er sich nicht festlegen.

Warum sind die Züge der Bahn so pannenanfällig?

Brüchige Achsen, abfallende Türen, überforderte und falsch bediente Klimaanlagen beim ICE, unterdimensionierte Räder, zu schwache Bremsen, vom Schnee lahmgelegte Motoren und klemmende Weichen bei der S-Bahn: Die Liste des Versagens ist lang. Die Verantwortung will aber niemand übernehmen. Die heutigen Pannenzüge der S-Bahn seien von 1997 bis 2004 nach den damals geltenden Normen gebaut und anschließend abgenommen worden, weist der Deutschlandchef von Bombardier, Klaus Baur, die Vorwürfe zurück. In den ersten zehn Jahren habe die Verfügbarkeit der Flotte bei über 98 Prozent gelegen, einem sehr hohen Wert für eine S-Bahn. Für eventuelle Wartungsmängel sei Bombardier nicht verantwortlich. Bombardier habe nach Ablauf der Gewährleistungspflicht keinen Einblick mehr in die Wartungsdaten bekommen. Die Garantie endete 2007, vereinbarungsgemäß drei Jahre nach der Lieferung des letzten Fahrzeugs.

Ein Branchenkenner mutmaßt, dass die Bahn die Hauptschuld trägt. Jetzt räche sich, dass sie in allen Bereichen seit Jahren zu heftig spart, sagte er. „Deshalb beteiligt die Bahn die Hersteller auch nicht an der Wartung der Züge – sonst würde klar, in welch schlechtem Zustand das Material heute ist.“

Bahn-Chef Grube hält dagegen. Mangelnde Wartung sei nicht Schuld. „Das hat mit den Herstellern zu tun.“ Die Elektronik bei der S-Bahn-Baureihe 481 etwa sei zu tief eingebaut und werde daher leicht vom Schnee lahmgelegt. Tatsächlich sind moderne Züge anfälliger als früher. Es kann einfach mehr kaputtgehen: Das Tempo ist höher, es gibt Klimaanlagen, Informationssysteme für die Fahrgäste, automatische Toiletten, auf Sparsamkeit getrimmte Antriebstechnik.

Am jetzigen Zustand ändert die Schuldfrage ohnehin nichts. ICEs wie S-Bahnen müssen nun wesentlich häufiger zur Kontrolle in die Werkstätten – sie fehlen dann im Alltagsbetrieb. Ersatzzüge gibt es so gut wie nicht mehr, weder bei der S-Bahn noch im Fernverkehr. Das liegt vor allem an der Gewinnorientierung der vergangenen Jahre: Reservezüge, die überwiegend auf Abstellgleisen stehen, verdienen kein Geld, müssen aber gewartet werden. Das kostet.

Können Bund und Länder die Bahn zwingen, mehr zu investieren?

Jedes Jahr steckt der Bund mehr als 16 Milliarden Euro in das System Schiene – für den Regionalverkehr, neue Strecken, die Reparaturen der alten und Beamtenpensionen. Es soll noch mehr werden. „Wir müssen jetzt richtig investieren“, sagte Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). Vergangene Woche hatte sein Staatssekretär Klaus-Dieter Scheurle bereits gefordert, der Konzern solle bis zu zwei Milliarden Euro in neue S-Bahnen für Berlin stecken. Zwingen kann der Bund die Bahn allerdings nicht, sie ist ein eigenständiges Unternehmen. Die Länder-Verkehrsminister fordern ein Ausgabenprogramm. Es gebe einen „großen Investitionsstau“, erklärten die Ressortchefs am Montag. Experten zufolge ist etwa nur jede zweite Weiche im Gleisnetz beheizt.

Grube plant schon länger, 44 Milliarden Euro bis 2014 zu investieren. Fast drei Viertel davon sollen in die Infrastruktur fließen. Der größte Teil davon kommt vom Bund. Zufrieden ist Grube aber nicht. „Wenn wir mit dem Wachstum auf der Schiene fertig werden wollen, brauchen wir 600 Millionen Euro mehr pro Jahr“, sagte er.

Mehr Geld will der Bund nicht geben – im Gegenteil, er verlangt 500 Millionen Euro Dividende. „Das steht nicht zur Disposition“, hieß es im Finanzministerium. Die SPD-Länder und die Umweltverbände wollen auf die Dividende verzichten und das Geld lieber in Schienen und Fahrzeuge stecken.

Warum hat die Bahn so lange keine neuen Züge gekauft?

„Wir geben viel Geld aus, um unser Brot- und Buttergeschäft besser zu machen“, warb Grube am Montag. Der Fernverkehr ist aber keine Ertragsperle, entsprechend gering war bislang der Anreiz, zu investieren. Dabei haben die IC-Wagen und der ICE 1 Jahrzehnte auf dem Buckel. Jetzt kommt Bewegung in die Sache: Der ICE 2 soll generalüberholt und neu ausgestattet werden.

Dagegen stockt der Kauf neuer Züge. Die Bahn hat zwar Siemens als bevorzugten Bieter für eine neue, ICX genannte Zuggeneration ausgewählt. Doch zum einen gibt es noch Streit über den Preis, zum anderen soll der Elektrokonzern garantieren, dass der neue Zug zuverlässiger fährt. Eigentlich sollte der vier Milliarden Euro schwere Auftrag schon im Sommer unter Dach und Fach gebracht werden, jetzt wird das Frühjahr angepeilt. Ob sich der Auslieferungstermin 2014 für die ersten der 130 Züge halten lässt, ist unklar. Die Bahn prüft nun, Doppelstockwagen aus dem Regionalverkehr für den IC-Verkehr umrüsten zu lassen.

Im Regionalverkehr dagegen hat die Bahn längst neue Züge bestellt. Sie sind bereits produziert – dürfen aber nicht fahren, weil das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) die Zulassung verweigert. Rund 60 Züge der Baureihe Talent 2 von Bombardier stehen derzeit auf dem Abstellgleis. Testfahrten im vergangenen Sommer brach die Bahn ab, Bremsen und Software funktionierten nicht wie gewünscht. Nun bessert Bombardier nach. Wann die Züge in den Einsatz kommen, will derzeit aber niemand vorhersagen. Sie fehlen im laufenden Betrieb – in Nürnberg, an der Mosel, zwischen Cottbus und Leipzig sowie im Rheinland sollten sie längst unterwegs sein.

Warum dauert es so lange, bis neue Züge angeschafft werden?

Vom Beschluss, ein neues Fahrzeug zu kaufen bis zur ersten Lieferung einer Serie dauert es rund fünf Jahre. Ein Jahr allein ist erforderlich, um die technischen Vorgaben festzulegen, die Ausschreibung dauert ein weiteres Jahr, für die Produktion werden rund drei Jahre veranschlagt. Darin enthalten sind auch die Zeiten für die Erprobung und die Zulassung, was ebenfalls aufwendig ist. „Wenn man auf den Knopf drückt, ändert sich bei der Bahn erst in drei Jahren etwas“, klagt Grube.

Was geschieht bei der S-Bahn?

In diesem Jahr will die S-Bahn rund 120 Millionen Euro ausgeben, um ihre Fahrzeuge zu verbessern, Dazu gehört der Austausch von 4500 Achsen und 9000 Rädern. Zudem will man durch den Austausch von 3000 Fahrmotoren verhindern, dass Flugschnee wie in diesem Jahr die Antriebe lahmlegt. Auch die Anlagen für den Bremssand, die in diesem Winter zum Teil eingefroren waren, müssen umgebaut werden. Dass die Züge danach bei einem Wintereinbruch nicht erneut schlapp machen, will Bahnchef Grube aber nicht garantierten.

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