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Bahnhofshalle Ostkreuz: Schluss mit rostig

Die neue Bahnhofshalle am Ostkreuz ist fast fertig. Bis zur Eröffnung Mitte April gibt es aber noch viel zu tun - deshalb wird das Gleis der Ringbahn ab Freitagabend komplett gesperrt.

„Also, hier die Treppen hoch, dann links, dann rechts, dann wieder runter und da drüben wieder ruff“. Der S-Bahner, der uns auf dem Bahnhof Ostkreuz den Weg durchs Baulabyrinth weist, rudert wild mit den Armen. Er hat seinen Spruch heute vielleicht schon 200 Mal gesagt, dafür steht er hier, lächelt und tröstet den verehrten Fahrgast: „Is nu mal so uffe Baustelle“. Wir möchten vom stadtauswärts führenden Bahnsteig eine Etage höher zur Ringbahn. Ich zähle: 27 durchlöcherte Metallstufen rauf, 27 wieder runter, 150 Schritte und dann noch einmal 41 Stufen, bis man atemlos an den Gleisen 11 und 12 angekommen ist. Es zieht wie Hechtsuppe. Der Wind wirbelt den Sand auf, der rings um das zerwühlte Gleisbett in kleinen und großen Haufen verteilt ist. Metallsägen kreischen, Funken fliegen um Schweißers Ohren wie wild gewordene Glühwürmchen, Kipper rollen zwischen den Gleisen. Und wieder versucht der Zugabfertiger mit der roten Mütze, einer keuchenden Frau, die ihren Rollkoffer über die Treppen bugsiert, die Schwierigkeiten beim Umbau eines kompletten Bahnhofs nahezubringen. „Is det nich große Scheiße für jeden, der sich hier abquälen muss?“, ruft die ältere Dame der S-Bahn ins Gesicht, aber die hat längst auf jede Frage eine Antwort: „Scheiße? Ach nee, da rutschen se doch bloß aus, und det wolln wa nich“.

Manch Nervenstrang leidet zwischen Ring- und Stadtbahn, aber die meisten Fahrgäste tragen den Totalumbau des S-Bahnhofs Ostkreuz mit Fassung. „Es gibt Schlimmeres“, sagt ein älterer Werktätiger, der von Friedrichshagen nach Schöneweide muss, „wollen wir doch froh sein, dass aus dem ollen Rostkreuz endlich ein Ostkreuz wird!“.

Das Ostkreuz - eine Zeitreise in Bildern:

1882, also vor 130 Jahren, wurde der Bahnhof mit dem langen Namen Stralau-Rummelsburg eröffnet und 1933 in Ostkreuz umbenannt. Heute, schätzt die Bahn, benutzen diesen genial angelegten Knoten mit dem Verkehr rings um die Stadt, in sie hinein und aus ihr heraus bis zu 140 000 Menschen, die, so lange man denken kann, voll belegte Kinderwagen, Fahrräder, Kisten und Koffer die Treppen auf und ab schleppen. Die Steinstufen waren zuletzt brüchig, abgewetzt und ausgetreten wie in Pompeji. In der DDR hatte man irgendwann erkannt, dass der Umbau zwar notwendig sei, aber alle Voraussetzungen für diese Herkulesaufgabe fehlen. So hat sich niemand ans Ostkreuz getraut. Die Bahnsteige waren eng und geradezu antik mit ihren Säulen, irgendwann wurde die Nord- und Südkurve geschlossen, und es glich stets einem Spiel mit dem Zufall, wenn man auf dem oberen Bahnhof stand, welcher Zug denn nun unten zuerst in die Stadt fährt, der auf dem rechten oder linken Gleis. Dann rannte plötzlich alles los, es war wie im Kino bei den „Ferien des Monsieur Hulot“.

Bratwurstverkäufer bangen um ihre Stände

Seit 2007 nun wird der Bahnhof komplett umgebaut, fast alles unter dem rollenden Rad, wie der Fachmann sagt. Bis 2016. Für 411 Millionen Euro. Dann halten hier auch Regionalzüge, die Drängelei auf den Treppen lässt nach, denn es soll zehn Fahrtreppen und ebenso viele Aufzüge geben, momentan wird der erste eingebaut. Der nahe Wasserturm, seit hundert Jahren ein Wahrzeichen für die Gegend, bleibt erhalten. Das Modernste, die Ringbahnhalle, wird alle Ostkreuzler ab 16. April erfreuen. „Da sind wir schon gespannt drauf“, sagen die Kellnerinnen im Restaurant Lykia – „bei uns hier am Annemirl-Bauer-Platz hat sich durch die Bauerei nichts verändert, unsere Stammgäste, die Touristen und Reisegruppen trinken nach wie vor ihren Absacker im Kiez“.

Leben am Ostkreuz - Bildern:

Von der Sonntagstraße aus wirkt die neue Glasfassade noch wie ein Fremdkörper, aber sie macht neugierig: 1449 Tonnen Stahl stecken in dem 123 Meter langen, bis zu 48 Meter breiten und 15 Meter hohen Bauwerk. Die Fläche der 450 Glasscheiben ist so groß wie ein Fußballfeld. Imposant wirkt die Halle, in der die Fahrgäste endlich ein Dach über dem Kopf haben, mit ihren optischen Überraschungen: Beim Überqueren der Fußgängerbrücke auf gleicher Ebene spiegelt sich die Silhouette von Friedrichshain im frisch geputzten Glas: die Zwingli-Kirche, der Narva-Turm, Wohnhäuser und hinten der Fernsehturm. Das wird einen idyllisch verspiegelten Sonnenuntergang geben, wenn die Halle im Betrieb ist. Man kann an fünf Pavillons essen und trinken, aber nicht jeder Händler zieht von unten nach oben. Die Frau am Stand mit dem Kaffee und die mit der Bratwurst wissen noch nicht, was aus ihren Kiosken wird, wahrscheinlich müssen sie das Feld auf dem Stadtbahnhof räumen, denn „die Mieten da oben sind für uns utopisch“. Le Crobags Backwerk hingegen wird umziehen, „natürlich freuen wir uns, alles wird licht und hell, und neue Kunden kommen dazu“, sagt der junge Chef an der Kuchenfront.

Bis zur Premiere am 16. April aber gibt es noch viel zu tun und zu leiden. Denn ab 30. März, 22 Uhr, bis 16. April, 1 Uhr 30 wird der Bahnhof komplett gesperrt. Auf den Strecken Schönhauser Allee – Neukölln und Ostkreuz – Baumschulenweg fahren Busse als Ersatz. Max, der Maulwurf, Bahnbau-Maskottchen und Seelentröster, erzählt auf einem Faltblatt, warum: Die Signal- und Sicherungstechnik wird erneuert, das elektronische Stellwerk Frankfurter Allee in Betrieb genommen (wofür 240 Kilometer Kabel verlegt wurden) und zu den neuen Ringbahnsteigen müssen die Gleise eingeschwenkt werden. Am bisherigen Ringbahnsteig „halten dann die ganz großen richtigen Züge“, sagt der Bahnsteigchef mit der roten Mütze, seine Kollegin Rotkäppchen vom Gleis 5 strahlt, wenn sie gefragt wird, ob sie sich auf die neue Halle freut. „Na, klar doch“. Dann guckt sie dir ganz tief in die Augen und fragt etwas pikiert zurück: „Sie etwa nich?“

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