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S-Bahn

© Tsp/Pieper-Meyer

Defekte Bremszylinder: Wieder Chaostage bei der S-Bahn

Wegen defekter Bremszylinder bleibt nur ein Drittel der Fahrzeuge in Betrieb und der S-Bahnverkehr wird zusammenbrechen. Das Unternehmen vermutet Wartungsmängel schon seit 2004. Vorstandsmitglied Ulrich Homburg spricht von einem "schwarzen Tag für Berlin und die S-Bahn.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Am Montag gegen 14 Uhr hatte Ulrich Homburg, Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn, noch gute Nachrichten verkündet. In einer Woche seien wieder 70 Prozent der S-Bahnflotte einsatzbereit, im Dezember laufe der Betrieb wieder normal. Zur selben Zeit stand ein S-Bahnwagen zur Überprüfung in der Werkstatt und es stellte sich heraus: Vier Bremszylinder sind defekt. Damit bestätigte sich ein Problem, dass vor zweieinhalb Wochen bei Bremsversuchen erstmals festgestellt wurde: Die Bauteile wurden, nach bisherigen Erkenntnissen schon seit 2004, nicht ordnungsgemäß instandgesetzt. Jeder Bremszylinder muss nach einer bestimmten Laufzeit runderneuert werden. Offenbar wurde dabei regelmäßig eine Schraube nicht ersetzt, die hätte ausgewechselt werden müssen.

Die S-Bahn entschied zunächst, sämtliche Fahrzeuge alle sieben Tage auf defekte Bremsen zu überprüfen. Bei einem solchen Test wurden gestern vier defekte Zylinder an einem Wagen gefunden und der Bahnvorstand entschied: Nur 163 von 536 Fahrzeugen dürfen im Betrieb bleiben, beim Großteil des Fuhrparks werden alle Bremszylinder ausgetauscht. Homburg sprach von einem "sicherheitsrelevanten Vorfall". Eine andere Entscheidung sei nicht möglich gewesen. "Wir hatten keinen Ermessensspielraum." Über die Sicherheit der Fahrgäste lasse sich nun mal nicht diskutieren.

"Ein schwarzer Tag für Berlin und die S-Bahn", kommentierte Homburg am Montagabend auf einer provisorisch einberufenen Pressekonferenz im Hotel Maritim. Er entschuldigte sich bei allen Berlinern, "dass wir sie erneut mit erheblichen Einschränkungen konfrontieren müssen". Er sei schockiert über diese nicht vorhersehbare Entwicklung. Bis Mittwoch werde es einen "stabilen Notfahrplan" geben. Ab dem heutigen Dienstag will die S-Bahn per Internet stündlich aktualisiert darüber informieren, welche Strecken im Betrieb sind und wie der Fahrtakt ist. Die Situation ist vielleicht sogar noch schlimmer als während der "Chaostage" im Juli.

Vorerst müssen sich die Bahnkunden auf folgende Situation einstellen: Die Ringbahn und die Nord-Süd-Linien S 1, S 2 und S 25 bilden das einigermaßen regelmäßig fahrende Basisangebot. Auf der Stadtbahn fahren zwischen Alexanderplatz und Westkreuz sowie bis Wannsee und Spandau keine Züge. Nach Potsdam und Spandau stehen Regionalbahnen als Ersatz zur Verfügung. Ansonsten müssen die Berliner auf das reichhaltige Angebot der Berliner Verkehrbetriebe (BVG) zurückgreifen, mit dem Fahrrad, Auto oder Taxi fahren - und notfalls zu Fuß gehen.

Nach Information der S-Bahn wird die Auswechslung der Bremszylinder an allen Fahrzeugen etwa zehn bis zwölf Wochen dauern. Für den serienmäßigen Austausch der Bauteile wird eigens eine Fertigungsstraße in den S-Bahnwerkstätten aufgebaut. Ralph Fischer vom Eisenbahn-Bundesamt bestätigte die Darstellung der Bahn, dass nicht Konstruktionsmängel der Zylinder, sondern Wartungsfehler zu dem Desaster geführt haben. "Die Funktionssicherheit der Bremsen war deshalb zum Teil nicht mehr gewährleistet." Die S-Bahn sei in diesem Fall selbst aktiv geworden, sagte Fischer. "Aber das Bundesamt behält die Angelegenheit sehr genau im Blick."

Berlins Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) sprach von einem "unglaublichen Vorgang". Noch am Montagvormittag hatte sie mit dem Bahnvorstand Homburg und dem Ministerkollegen Reinhold Dellmann (SPD) beim vierten S-Bahngipfel zusammengesessen. Man redete über die Normalisierung des Schienenverkehrs bis Dezember und diskutierte strittig über eine Entschädigung für die Stammkunden der S-Bahn wegen der Verkehrsbeeinträchtigungen im Sommer. Eigentlich sollte die S-Bahn in einer Woche wieder im Zehn-Minutentakt nach Potsdam fahren. Alle versicherten im Nachhinein, während dieses Treffens und der anschließenden Pressekonferenz von dem drohenden Ungemach nichts gewusst zu haben. Junge-Reyer wurde abends informiert.

Dann nahm es der neue Bahnchef Rüdiger Grube selbst in die Hand, dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die Wiederauflage der S-Bahn-Chaostage seit Juli näher zu bringen. Homburg sicherte gestern eine umfassende Untersuchung der skandalösen Vorgänge zu. "Falls es sich herausstellen sollte, dass gegen geltende Instandhaltungs-Richtlinien der S-Bahn Berlin verstoßen wurde, werden wir mit aller Konsequenz gegen die Verantwortlichen vorgehen." Nach dem bisherigen Kenntnisstand sei zu vermuten, dass die Versäumnisse bei der Wartung der Fahrzeuge "ihren Ursprung im Jahr 2004 haben".

Andere Probleme mit den Bremsen sind schon länger bekannt. So dürfen die Fahrzeuge der Berliner S-Bahn auch auf den schnellen Strecken höchstens mit 80 Stundenkilometern fahren. Zusätzlich gab es Ärger wegen Schäden an den Kupplungskästen und Rissen im Bodenblech. Und seit Mai, als nach einer Zugentgleisung die gravierenden Probleme mit den Rädern und Achsen offenbar wurden, kam das Verkehrsunternehmen, das dem bundeseigenen Bahnkonzern gehört, aus den negativen Schlagzeilen nicht mehr heraus.

Am 2. Juli wurde, wie berichtet, der vierköpfige Vorstand der S-Bahn komplett durch ein neues Führungsteam ersetzt. Die Forderung der Grünen, den noch bis 2017 geltenden Verkehrsvertrag mit der S-Bahn umgehend zu kündigen und nachzuverhandeln, lehnte der Senat bislang ab. Gestern erneuerte die Grünen-Fraktionschefin Franziska Eichstädt-Bohlig diesen Vorschlag.

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