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Nahverkehr: S-Bahner sind erleichtert über Sturz der Chefs

Der drastische Sparkurs des Unternehmens setzte auch den Mitarbeitern zu. Das Verkehrs-Chaos könnte sich noch monatelang hinziehen.

Das Chaos bei der S-Bahn wird sich möglicherweise lange hinziehen. Während die Pressestelle des Unternehmens am Donnerstag jede Prognose verweigerte, sagte die Verkehrsexpertin der Linken, Jutta Matuschek, dass die Probleme noch viele Monate andauern dürften, weil die Ursache für den Bruch einer Radscheibe nicht geklärt sei und die Züge jede Woche erneut in die Werkstatt müssten. Mangelhafte Informationen für die Fahrgäste vergrößern das Desaster zusätzlich: Anzeigen bleiben dunkel, Ansagen sind Glücksache. Die Kundenhotline (Tel. 2974 3333) ist immerhin mit etwas Wartezeit erreichbar. Wer sich im Internet informiert, muss sich seinen persönlichen Notfahrplan aus den Angaben für die einzelnen Linien zusammenstellen und dabei außerdem die teilweise hinzugefügten Ausnahmen von der Ausnahme beachten. S 45 und S 85 fallen weiter komplett aus, ansonsten gelten 20-Minuten-Takte, nur die Ringbahn fährt planmäßig. Auf die Mitnahme von Fahrrädern bittet „Berlins fahrradfreundlichstes Verkehrsmittel“ (Ex-Chef Tobias Heinemann im Mai 2008) zu verzichten.

Während die Passagiere weiter an ausgefallenen oder verspäteten und überfüllten Zügen verzweifeln, war die Nachricht vom Abgang der Chefs zumindest für viele Mitarbeiter ein kleiner Trost. Denn der Sparkurs der vergangenen Jahre hat ihren Arbeitsalltag und das Klima im Unternehmen stark verändert, wie von S-Bahnern zu hören ist.

Die Wut aus der Zeit des Lokführerstreiks sei Resignation gewichen, sagt einer der knapp 1000 Fahrer: „Viele Kollegen machen Dienst nach Vorschrift und interessieren sich nicht für das, was jenseits ihres Zuges passiert.“ Die Fahrleistung pro Schicht sei in den vergangenen Jahren um 50 Prozent gestiegen. Doch die verkürzten Zeitpuffer an den Endbahnhöfen führten zu unaufholbaren Verspätungen. Aus Ehrgeiz würden einzelne Kollegen – entgegen der vom Eisenbahn-Bundesamt nach einem Unfall erlassenen Weisung – dann Tempo 100 statt der erlaubten 80 Stundenkilometer fahren. „Auch die Fahrgäste haben resigniert“, meint der Fahrer. Von Passagieren werde er nicht mehr so oft beschimpft wie noch vor Jahresfrist, als die Aufsichten an Bahnhöfen verschwunden und die Informationen rar geworden waren. „Man hört jetzt eher, dass sie gar nicht mehr S-Bahn fahren wollen. Was ja verkehrspolitisch fatal ist.“

Das sehen auch Landespolitiker so. Grünen-Verkehrsexpertin Claudia Hämmerling verlangte 15 Prozent Sofortrabatt für die Inhaber von Monats- und Jahreskarten. CDU-Fraktionsgeschäftsführer Uwe Goetze forderte den Senat auf, sich von der S-Bahn einen Maßnahmenplan zur Abhilfe vorlegen zu lassen und alle Sanktionsmöglichkeiten auszuschöpfen. Das ist nach Auskunft der Verkehrsverwaltung auch geplant: „Zum Abzug für die nicht gefahrenen Kilometer wird es auch Pönalen geben“, sagte eine Sprecherin. Zwölf Millionen Euro pro Jahr könne das Land einbehalten.

FDP-Fraktionschef Christoph Meyer fordert, den bis 2017 laufenden Vertrag schnellstmöglich zu kündigen. Ein Insider mit Kontakten in die S-Bahn-Chefetage sagt, er gehe davon aus, dass das Management die Strafen bereits einkalkuliert habe. „Die Sache ist auch politisch völlig falsch gestrickt.“ So fehle im Verkehrsvertrag eine Vorgabe zur Länge der Züge; die S-Bahn nutze dies aus, indem sie selbst zu Spitzenzeiten verkürzte Züge fahren lasse. Trotz immer neuer Warnungen vor dem Sparkurs habe die Geschäftsführung „in einer Welt gelebt, in der Kritik gar nicht mehr wahrgenommen wurde“. Der Mann ist überzeugt, dass die S-Bahn überhaupt nur unter einem Nichttechniker – Heinemann ist Jurist – derart auf Verschleiß gefahren werden konnte.

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