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Flugzeugunglücke DDR: Flghf. Schoenefeld 1989

© Ullstein

Nie aufgearbeitet: Juni 1989: Flugzeugkatastrophe in Schönefeld

Vor 20 Jahren starben beim Flugzeugabsturz von Schönefeld 21 Menschen. Die Katastrophe wurde nie aufgearbeitet.

Warum kommen Sie erst jetzt? 20 Jahre danach! Ralf-Carsten Ludwig aus Pankow möchte immer alles genau wissen, und dass es ausgerechnet zu seinem Flugzeugabsturz keinen Untersuchungsbericht gibt, keine letzten Gewissheiten, das wurmt ihn bis heute. Ludwig ist Softwareentwickler, ein Mensch, der für jeden Fehler im System eine Erklärung sucht. Damals gab es zu viele Fehler.

Am Morgen des 17. Juni 1989 rollt eine fast fabrikneue Iljuschin mit 103 Passagieren auf die Startbahn des Flughafens Schönefeld. Flugziel ist Moskau. Ralf-Carsten Ludwig, damals 31, will mit einer Alpinistengruppe über Moskau nach Samarkand reisen, um ein paar Fünftausender zu besteigen. Die Reise ist offiziell nicht angemeldet, einige Visa sind gefälscht, aber die Extremkletterer vertrauen auf ihr Glück, das sie bisher nie verlassen hat.

Die Maschine ist verspätet, der Tower drängt auf einen schnellen Start. Das Flugzeug beschleunigt auf über 250 Stundenkilometer, die Nase ist oben, aber das Höhenruder klemmt. Der Flugkapitän weist den Bordingenieur an, auf Schubumkehr zu schalten, aber für einen Startabbruch ist es zu spät. Das Flugzeug rast über das Ende der Startbahn hinaus, kracht gegen einen Wassertank, rasiert eine Baumreihe und zerbricht brennend auf einem Acker.

In der fünften Reihe sitzt Ludwig, die Arme über dem Kopf verschränkt. Nach dem ersten Knall war ihm klar, „hier geht was total schief“. Ein Pole, der sich nicht angeschnallt hatte, fliegt gegen die vordere Kabinenwand. Die Alpinisten gelangen durch die aufgerissene Hülle ins Freie und retten andere Passagiere aus ihren eingeklemmten Sitzen. Von hinten steigt bereits dunkler Rauch nach vorne. Im Heck befinden sich die meisten der 21 Todesopfer, darunter viele Kinder, die auf dem Weg in die Ferien waren. Auch zwei Feldarbeiter kommen ums Leben.

Außergewöhnlich an diesem Unglück ist, dass Zeitungen und Fernsehen in der DDR aktuell und ausführlich berichten, doch zeitgleich beginnen die Vertuschungsmaßnahmen. Aussagen von Augenzeugen, das Flugzeug sei bereits in der Luft gewesen, werden unterdrückt. So entgeht die DDR einer internationalen Untersuchungskommission, die nach Flugzeugabstürzen vorgeschrieben ist. Die DDR-Staatsanwaltschaft ermittelt und stellt das Verfahren anschließend ein.

Die geretteten Passagiere wurden zunächst in einen isolierten Hangar gebracht und befragt. „Es gab Vermutungen, es könnte ein Terroranschlag gewesen sein, wegen des 17. Juni“, erinnert sich Ludwig. Keiner durfte telefonieren. Für die Benachrichtigung der Angehörigen werde schon gesorgt, hieß es. Ludwigs Frau erfährt erst durch einen Anruf ihres Schwagers, was geschehen ist.

Wenig später erhält Ludwig Besuch. Den Stasi-Beamten waren die Medienberichte aufgefallen, nach denen eine Alpinistengruppe viele Passagiere aus der Gefahrenzone gebracht hatte. Die Stasi hatte keine Ahnung von dieser Reise. Normalerweise würde er jetzt ins Gefängnis wandern, aber die Stasi entscheidet sich für eine elegantere Lösung. Sie legalisiert die Reise einfach. Zwei Tage später fliegt Ludwig mit einer anderen Iljuschin-Maschine nach Moskau. Doch die meisten seiner Alpinistenfreunde bleiben zu Hause. Ludwig merkt erst auf den Bergen in Tadschikistan, dass er sein Urvertrauen verloren hat. Mehrere Gipfeltouren bricht er ab. „Meine Laufbahn als Kletterer war mit dem Absturz zu Ende gegangen.“

Nach dem Untergang der DDR verschwand auch das Unglück von Schönefeld in der Versenkung. Die Opfer, die mit geringen Geldbeträgen entschädigt worden waren, konnten erst Mitte der 90er Jahre einen Prozess erzwingen. Da waren ihre Ansprüche aber schon verjährt. In einem Prozess wurde 1997 der Bordingenieur freigesprochen, der die Schubumkehr-Anweisung nicht befolgt hatte.

Der Richter kam zum Schluss, dass eine Kette von Fehlleistungen zu dem Unglück geführt hatte, angefangen mit einem falsch konstruierten Flugzeug und einer ungenügenden Ausbildung der Crew. Doch an einer weiteren Aufarbeitung des Unglücks hatte niemand mehr Interesse.

Die Zahl der Opfer ist inzwischen auf mindestens 22 gestiegen. Erich Britzke, der 1989 seine Frau verloren und selbst schwere Verätzungen erlitten hatte, ist an den Spätfolgen dieser Katastrophe gestorben, sagt sein damaliger Anwalt Frank Lansnicker. Thomas Loy

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