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© dpa

Öffentlicher Nahverkehr: S-Bahn fürchtet schon den nächsten Krisenfall

Falls es am Wochenende schneit, drohen weitere Zugausfälle. Bei Ausschreibung des Netzes könnte ein neuer Betreiber 2012 feststehen. Die Verkehrssenatorin fordert den Bund auf, die Bahn in die Pflicht zu nehmen.

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Kaum vorstellbar, aber bei der S-Bahn kann alles noch schlechter werden: Sollte es am Wochenende, wie vorhergesagt, erneut schneien, „werden die Probleme noch größer“, hieß es am Donnerstag. Befürchtet werden Defekte an den Fahrzeugen, bei der Stromversorgung und an den Weichen. Weitere Zugausfälle wären die Folge. Schon jetzt kann die S-Bahn den eigenen Notfahrplan nicht einhalten. Wie das Unternehmen zum Normalfahrplan zurückkommen soll, könne man erst Ende Januar sagen, bekräftigte gestern S-Bahn-Chef Peter Buchner.

Nach seinen Angaben hätten die Kapazitäten in den Werkstätten gereicht, um den Winterverkehr zu bewältigen – wenn die Mitarbeiter nicht durch die zusätzlichen Kontrollen an den Fahrzeugen gebunden worden wären. Jetzt gebe es in den Werkstätten einen Stau, der sich durch weitere Sicherheitsauflagen im Dezember verstärkt habe. Deshalb sei es nicht möglich gewesen, am 13. Dezember wieder fahrplanmäßig zu verkehren, wie es angekündigt war, sagte Buchner.

Aufgelöst werden soll der Stau nun durch die Wiederinbetriebnahme von Werkstätten, die aus Kostengründen – gegen den Widerstand des Betriebsrats – geschlossen worden waren. In Erkner wird schon gearbeitet, Friedrichsfelde soll am Montag wieder ans Netz gehen – nach dem erwarteten Schneefall. Schneller sei die Wiederinbetriebnahme nicht möglich, sagten Buchner und Betriebsratschef Heiner Wegner übereinstimmend. In der Hauptwerkstatt in Schöneweide, die ursprünglich ebenfalls dichtgemacht werden sollte, ist jetzt zudem Schichtbetrieb eingeführt worden, und die Werkstatt in Oranienburg wird auf einen 24-Stunden-Betrieb vorbereitet.

Nach zahlreichen Stellenstreichungen in der Vergangenheit sind derzeit nach Buchners Angaben „gut 400“ Mitarbeiter in den Werkstätten beschäftigt, davon kommen 160 von Fremdfirmen oder aus anderen Bereichen des Bahnkonzerns. Insgesamt hat die S-Bahn derzeit knapp 2800 Mitarbeiter, die durch insgesamt mehr als 300 geliehene Kräfte verstärkt werden. Auch alle Auszubildenden werden jetzt übernommen.

Wegner hofft, dass die Bahn auch bei den Aufsichten auf den Bahnsteigen die Weichen neu stellt und den vorgesehenen Personal-Abzug von fast allen Bahnhöfen nicht vollzieht. Bahnchef Rüdiger Grube habe ihm versichert, dass es für die Geschäftsführung der S-Bahn, anders als in der Vergangenheit, jetzt keine Restriktionen gebe, sagte Wegner.

Allerdings sei die Absicht des Senats, für die Zeit nach dem Auslaufen des Verkehrsvertrags im Dezember 2017 zunächst ein Teilnetz der S-Bahn auszuschreiben, „nicht unbedingt motivierend“ für die Mitarbeiter, sagte der Betriebsratschef weiter. Sie befürchteten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn ein Konkurrent zum Zug kommen sollte. Allerdings kann der Senat bei einer Ausschreibung die Bewerber dazu verpflichten, die Beschäftigen zu den bisherigen Konditionen zu übernehmen. Sollte es eine Ausschreibung geben, würde der künftige Betreiber 2012 ausgewählt werden.

Dass der Senat aber darauf verzichtet hat, den Vertrag mit der Bahn AG vorzeitig zu kündigen, sei für ihn ein Indiz dafür, dass der Auftrag zum Betreiben der Strecken am Ende doch wieder bei der Bahn landen solle, sagte gestern Engelbert Recker vom Verband Mofair, dem unabhängige private Verkehrsunternehmen angehören. Eine Ausschreibung des gesamten Netzes sei auch jetzt schon möglich. Dem hält der Senat entgegen, dass es bis Ende 2017 nicht gelingen werde, die nötigen Fahrzeuge zum Betreiben des gesamten Netzes neu zu beschaffen. Die Bahn AG will ihre Fahrzeuge nicht abgeben, und der Bund lässt sie dabei gewähren.

Verkehrssenatorin Ingeborg Junge- Reyer (SPD) forderte deshalb Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) dazu auf, „sich endlich um die Belange der Hauptstadt zu kümmern“. Der Bund als Eigentümer der Bahn müsse darauf achten, dass das Unternehmen und ihre Töchter sich am Gemeinwohl orientierten.

Das Verhalten der Bundesregierung sei „kein Ruhmesblatt“, sagte Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Sie müsse der Bahn „klarmachen, dass Berlin keine kommunale Spielwiese ist“. Und das Land Berlin nutze die Chance nicht, den S-Bahnvertrag zu kündigen und zügig den Betrieb von Teilnetzen auszuschreiben. Das fordert auch FDP-Fraktionschef Christoph Meyer. Der Bund habe eine Mitverantwortung für das S-Bahn-Chaos, die Hauptverantwortung aber liege beim Land. Für eine „Krisenbewältigungsstrategie“ und Nachverhandlungen mit der Bahn plädiert CDU-Verkehrspolitiker Oliver Friederici.

Die Ursache für das S-Bahn-Chaos in Berlin sehen Bundestagsabgeordnete der neuen schwarz-gelben Koalition in der Vergangenheit. „Das ist alles eine Spätfolge der Politik von Hartmut Mehdorn, der unverantwortlich Wartungsintervalle verlängert hat, um das Bilanzergebnis für einen Börsengang zu verbessern“, sagte Verkehrspolitiker Dirk Fischer (CDU). Das dadurch entstandene Image des Konzerns sei „katastrophal“, sagte Patrick Döring (FDP). Die neue Bahn-Führung stehe bereits unter politischem Druck. Und Vorstandschef Rüdiger Grube werde „alles tun, um das Problem in den Griff zu bekommen“, sind sich die beiden Bundespolitiker sicher.

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