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Verkehrschaos: Autofrei? Nichts dabei

Der Verkehrslärm ist weg, die Lokale sind voll, Fußgänger erobern die Straßen. Wie die Sicherheitsmaßnahmen zum Nato-Gipfel die Innenstadt verändern.

Die Grenze verläuft quer über die Friedrichstraße. Unter den Gleisen am Bahnhof staut sich der Verkehr ein wenig, rollt zäh über die Ampeln weiter, wird dann von der Polizei rigoros nach rechts in die Dorotheenstraße weggeschubst. Schon ein paar Schritte weiter vorm Kulturkaufhaus Dussmann herrscht fast feiertägliche Ruhe. Eine junge Russin sitzt am Eingang, spielt melancholische Melodien auf dem Akkordeon – und ist damit bis auf die andere Straßenseite zu hören. Zwischendurch flitzen Radfahrer pikiert um die Fußgänger herum, die sich die freie Fahrbahn zu erobern versuchen. Wären da nicht die allgegenwärtigen Polizisten, entstünde der Eindruck eines fröhlichen Öko-Experiments: autofreier Freitag in der City.

Den vielen Touristen scheint die Ausnahmesituation des Nato-Gipfels zu gefallen. Viele merken wohl gar nicht, dass etwas nicht normal ist, wenn sie aus den U- und S-Bahnhöfen in die Mittagssonne emporsteigen und das Stadtpanorama genießen. Weiße Fiaker rollen an ihnen vorüber, verbreiten eine gelassene Stimmung, die an die ebenfalls autofreie Umgebung der Wiener Hofburg erinnert; das autofreie Gedrängel auf dem Pariser Platz ist wie immer. Selbst an den Rändern, wo der Verkehr rollen darf, ist es ruhiger als sonst – offenbar hat das Chaos mit Ansage die meisten Autofahrer bewogen, weit weg zu bleiben. Ab und zu fegt eine schwarze Limousine mit herrschaftlicher Attitüde durch die leeren Straßen.

Wer es doch irgendwie geschafft hat in die innere Zone, der findet eine geradezu sensationelle Auswahl an freien Parkplätzen, selbst am Gendarmenmarkt. Dort hat sich eine italienische Lehrerin aufgestellt, hält den vor ihr lümmelnden Schülern einen Vortrag mit vielen rollenden Rs, ihre Stimme trägt weit in der Ruhe des Platzes. Auf den Stufen des Konzerthauses sitzt eine fröhliche Gruppe, es wird gesungen, Beifall brandet auf – unter normalen Bedingungen wäre dies im Verkehrslärm der angrenzenden Straßen untergegangen.

Den Gastronomen scheint der autofreie Freitag nicht zu schaden. Vorn unter den Linden steht ein junger Mann mit Bratwurst-Bauchladen und findet das Geschäft normal wie immer. Der improvisierte Eisstand vor dem Lafayette wird belagert, im japanischen „Ishin“ in der Mittelstraße sitzen die Büromenschen aus der Umgebung wie jeden Tag dicht an dicht. Im Borchardt essen die Wichtigen und in „Fischers Fritz“ die Diskreten; Betrieb ist selbst im „Vau“ in der Jägerstraße, das in der inneren Zone ums Außenministerium liegt, die auch von Fußgängern eigentlich nicht betreten werden darf. Hinten am sonst so geschäftigen Hausvogteiplatz zwitschern die Vögel.

Und die Läden in der Friedrichstraße finden ihre Kundschaft unter denjenigen, die in aller Ruhe mit der U-Bahn anreisen. „Viel ist Freitagvormittag sowieso nie los“, heißt es in einem Kunstgewerbeladen, „aber es ist gut, dass morgen wieder alles normal ist.“ Viele Taxis kreisen, warten an den üblichen Standplätzen, kein Problem, eins zu bekommen. „Det sollten se immer so machen hier“, raunzt ein Fahrer, der gerade vor dem Borchardt gestoppt hat – doch dann übertönen ihn rasende Motorradpolizisten, die einen unauffälligen schwarzen Bus eskortieren, und der Mann ergänzt: „oder lieber doch nicht“.

Es zeigt sich was in diesem unfreiwilligen Experiment: Die Lebensqualität in der City steigt beträchtlich ohne Autos. Draußen in den Staus am Rand sinkt sie dagegen sehr.

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