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Berlin: Verkehrter Plural

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Wenn Politiker reden, dann wollen sie für ihre Anliegen werben. In der Regel. Manchmal aber drücken sie sich um klare Worte, weil es den Wähler verprellen könnte. Wie Politiker sprechen, und was sie wirklich meinen – darüber schreibt Brigitte Grunert an dieser Stelle alle zwei Wochen.

Peter Strieder hat eine Vorliebe für „die Verkehre“. Na schön, das hört man insofern gern, als der Stadtentwicklungssenator ja auch für die Verkehrspolitik zuständig ist. Neulich sprach er, ganz in seinem Element, vor der Presse von den „Fußgängerverkehren“ und den „Umsteigeverkehren“, die man besser steuern muss. Also da seien ihm viele Glücke gewünscht und keine Peche.

Was hat er sich nur von seinen Verkehrsexperten einreden lassen. Wenigstens hat er diesmal nicht alle aufgezählt, die S-Bahn-, U-Bahn-, Straßenbahn-, Bus- und Autoverkehre. Der alte Spott fällt einem ein, dass es den Bürokraten egal ist, wer unter ihnen regiert. Die Senatoren und Minister kommen und gehen, die Verwaltungsbediensteten bleiben. Womöglich hat es mit „den Stressen“ zu tun, dass Politiker sich nicht die Mühe machen, die jeweilige Fachsprache in gefälliges Deutsch zu übertragen. Sie erliegen der Tröpfcheninfiltration eines Gifts, das das Sprachgefühl lähmt. Parlamentarier mögen ihre Senatoren noch so kritisch beäugen, aber sie beten solche Unwörter geradezu gewissenhaft nach, als wollten sie sich zu Oberexperten machen. Dabei reden sie bloß in unpräzisen Stichworten. Der gestanzte Satz: „Auf die Inhalte kommt es an!“ fehlt in kaum einer Debatte. „Die Inhalte“ sind gang und gäbe, zum Beispiel „die Lerninhalte“ oder „die Studieninhalte“. Unentwegt werden unsere Ohren mit derartig inhaltsleerem und obendrein schlechtem Deutsch malträtiert. Man denkt an verdorrte Bohnenhülsen.

Viele Substantive sind nun mal im Plural unverdaulich. Wörter wie Hitze, Kälte, Regen, Eis, Schnee, Ruhe, Ärger, Kapital, Demokratie, Sozialismus, Butter, Fleisch, Milch sind nicht zählbar. Man muss sich schon bequemen, nähere Unterscheidungen zu umschreiben. Der Verkehr ist der Verkehr, etwa der U-Bahnverkehr der Linie 1 oder der Fußgängerverkehr auf dem Potsdamer Platz. Der eine hat eine große Liebe, der andere bloß Liebschaften.

Zum Glück ist noch keiner auf die Idee gekommen, die Eise, die Schneee, die Bütter, die Fleische, die Obste oder die Milche zu sagen. Der Einwand, dass es sehr wohl die Lüfte, die Winde und die Welten gibt, zählt nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel, zumal dann, wenn sie das Ohr nicht schmerzen oder metaphorisch oder poetisch gemeint sind. Frei nach Ludwig Uhland erwachen im Frühling die linden Lüfte. Zwischen Poesie und Geholper aber liegen Welten.

Mag es den Fachleuten gleichgültig sein, ob der Plural unverträglich ist oder nicht. Mag der Duden ihnen die Leder, die Öle, die Weine, ja sogar die Stähle, die Verkehre und die Inhalte gestatten. Doch sie sollen bitte mit ihren Fachsprachen unter sich bleiben. Unsereiner lässt die Biere nur in den Kneipen kreisen und kennt keine Zungenbrecher namens Essige, sondern mehrere Sorten Essig. Klingen soll die Sprache auch in der Politik und nicht klappern, damit man zuhören kann und sich angeregt fühlt.

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