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Berlin: Verletzungen heilen, Wunden bleiben

Die Familie, die im Libanon bombardiert wurde, hat die Klinik verlassen

Noch etwas dösig blinzelt die sieben Monate alte Mariam durch die Gitterstäbe ihres Krankenbetts, als sie aus der Narkose aufwacht. Der ambulante Eingriff an ihrem Trommelfell im Unfallkrankenhaus Marzahn (UKB) ist gestern gut verlaufen, sagen die Ärzte. Auch die Verletzungen ihrer Geschwister Ali (13) und Ahmet (15) sowie ihrer Mutter Nouhad S. sind gut verheilt. Die vier wurden gestern aus der Klinik entlassen. Nur Mahmut (9) liegt noch auf der Intensivstation. Am Mittwoch vergangener Woche kamen die fünf ins UKB.

Die Weddinger Familie war, wie berichtet, Opfer der neuerlichen Eskalation im Nahen Osten geworden, als sie Angehörige im Libanon besuchte. Nouhad S. war mit ihrem Ehemann Mohammed, ihren vier Kindern und ihrem Cousin Imad aus dem Heimatdorf Mansori unterwegs zur Hafenstadt Tyrus, um von dort über Zypern zurück nach Berlin zu flüchten. Dabei wurde ihr Auto von einer israelischen Rakete getroffen. Nouhads Ehemann Mohammed starb in den Flammen, die anderen fünf konnten gerettet werden. Dass Nouhad nun Witwe ist, habe sie erst realisiert, als sie wieder in Berlin war, sagt ihr ebenfalls in Berlin lebender Onkel Latif Zein: „Sie hat es vorher irgendwie verdrängt. Aber dass ihre Kinder den Angriff überlebt haben und wir hier im Krankenhaus sofort Hilfe bekamen, kann sie ein wenig trösten.“ Der 13-jährige Ali gilt bei den Ärzten allerdings als traumatisiert. Auch er hatte sich lange der Einsicht verweigert, dass sein Vater tot ist. „Ich gehe erst nach Hause, wenn mein Vater da ist“, soll er gesagt haben, erzählt dessen Großonkel. Er habe dem Jungen dann sagen müssen, dass der Vater niemals zurückkommt. Nouhad S. mag derzeit nicht viel reden. Ganz in Schwarz gekleidet wiegt sie ihr Baby im Arm und wartet, dass ihr Onkel Latif das Auto startklar macht, um alle nach Hause nach Wedding zu bringen.

Für Nouhad S. und ihre Kinder beginnt nun eine schwierige Zeit mit unangenehmen Behördengängen. Sie waren als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon nach Deutschland gekommen. Nach einigen Jahren gab es eine Aufenthaltsgenehmigung. Nouhads Mann durfte sogar arbeiten gehen, zuletzt verdiente er sein Geld als Koch in einem Grillrestaurant. Doch die libanesischen Pässe sind bei dem Raketenangriff im Auto verbrannt, sagt der Onkel. „Die Verwandtschaft, aber auch Nachbarn werden die Familie in allem, auch bei den Behördengängen, unterstützen“, versichert Latif Zein. Jetzt müsse die Familie erst einmal das, was sie auf der Flucht erlebt hat, und den Tod des Vaters verkraften. Und sie werden fast täglich zurückkehren ins UKB, um den jüngsten Sohn Mahmut zu besuchen: Er hatte so schwere Verbrennungen erlitten, dass er gestern zum wiederholten Male operiert wurde. Er ist neben der kleinen Mariam der Einzige aus der Familie, der noch nicht weiß, dass der Vater tot ist.

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