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Berlin: Verliebt in einen Italiener – drei Jahre DDR-Haft

Tatjana Sterneberg kam ins Gefängnis, weil sie ausreisen wollte. Heute klagt sie ihre Stasi-Peiniger an

Sie war da, saß in der vierten Reihe, als zwei ehemalige Stasi-Offiziere in Lichtenberg ihre Bücher vorstellten. Zwei Wochen ist das her, und es war das erste Mal, dass sie diesen Leuten wieder begegnete. Das erste Mal seit 30 Jahren.

Sie ist aufgestanden von ihrem Platz, sie war aufgeregt, aber schweigen konnte sie auch nicht, denn die Stasi-Offiziere beschreiben in ihren Büchern eine DDR, die ganz in Ordnung war, und sie hat von ihrer Haftzeit gesprochen, von operativer Psychologie und Psychopharmaka, mit denen man sie gefügig gemacht hat. „Was haben Sie denn gemacht?“, hat der eine Offizier sie da angeblafft. Und für eine schreckliche Sekunde war er ihr Vernehmer, und sie musste sich verteidigen.

Heute will sie wieder sprechen. Wieder in Lichtenberg. Bei der Bezirksverordnetenversammlung, wenn es um die Kennzeichnung des Stasi-Sperrgebiets geht. Sie wird den schmalen fliederfarbenen Ordner dabei haben, den sie immer dabei hat, der in Klarsichthüllen verpackt Papiere aus ihren Akten enthält.

Tatjana Sterneberg, geboren 1952 in Ost-Berlin, verhaftet am 7. November 1973 wegen „staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme und Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt“, verurteilt am 13. Mai 1974 zu drei Jahren acht Monaten Haft und vom Westen 1976 freigekauft. Sie steht in ihrer kleinen Küche und brät Fleisch für den Salat. Mit einer Hand hebt sie die schwere Pfanne, lässt die zischenden Stückchen hüpfen. Sie ist eine kleine ordentliche Frau mit blond gesträhntem Kurzhaarschnitt und schmalrandiger sauberer Brille. Die Stasi beurteilte sie als renitent.

Der Osten blieb lange nach der Wende schlimm. Die Wege von ihrer Wohnung im Westen Charlottenburgs zur Birthler-Behörde am Alexanderplatz hätten ihr jahrelang den Atem genommen. „Man wird die Geschichte nicht los“, sagt sie. „Die klebt wie Pech.“

Aber die Geschichte schweißt auch zusammen, und das kann auch helfen. Immer donnerstags macht Tatjana Sterneberg Beratung für Stasi-Opfer beim Sozialverband in Charlottenburg. Es geht oft um Anträge auf Anerkennung von Haft- und Verfolgungsschäden. Manche reden da zum ersten Mal über ihre Haft. Kommen mit den Gefühlen nicht klar, mit denen sie so lange allein waren. Man muss das aufarbeiten, sagt sie.

Auch sie selbst hat nach dem Freikauf zunächst verdrängt. Bis zum 9. November 1989. Danach kamen die Erinnerungen, mit großer Wucht. An die Haft, die Isolation, den Dreck, die Enge, die Ungewissheit. Den Tag, als sie in der Untersuchungshaft in Pankow im Souterrain saß, vor dem Fenster stand ein Lkw mit laufendem Motor und die Abgase quollen in ihre Zelle, und sie dachte: Jetzt bringen sie dich um. Es war alles wieder da.

Sie hat Therapien gemacht, die haben geholfen. Sie hat es nicht, das „versteinerte Gesicht“, das sie an anderen Opfern beobachtet. Das graubleiche, das leblose. Es gibt Menschen, die kaum anders über ihre Haftzeit reden können als anklagend, schäumend, zutiefst verletzt. Viele Opfer warten auf eine Entschuldigung. Stattdessen veröffentlichen Stasi-Offiziere freundliche Selbstdarstellungen.

Die längste Zeit ihrer Haft hat Tatjana Sterneberg im Frauenzuchthaus Hoheneck im Erzgebirge verbracht, das berüchtigt war. 24 Frauen auf 30 Quadratmetern, dreistöckige Betten, Waschen alle vier Wochen. Überall habe sie Ausschlag gehabt, sagt sie, aber wenigstens habe sie Gesellschaft gehabt. Man solle sie „bis zur Belastungsgrenze“ arbeiten lassen, hatte das MfS notiert, und dass man sie bei Aufmüpfigkeit mit einem Neuroleptikum ruhig stellen solle.

Nach dem Essen macht sie Latte Macchiato. Die gesündeste Art, Kaffee zu trinken. Das weiß sie von Antonio, dem Italiener, mit dem alles anfing.

1973 war Tatjana Sterneberg eine junge Kellnerin im Hotel Stadt Berlin, und sie war verliebt in den fröhlichen Antonio aus West-Berlin. Sie stellte einen Ausreiseantrag, denn sie wollten heiraten. Der Antrag wurde abgelehnt, zwölf IMs in Stellung gebracht. Als Tatjana Sterneberg sich nach Fluchtmöglichkeiten erkundigte, wurden sie und Antonio verhaftet. Sie haben später im Westen geheiratet und einen Sohn bekommen. Es war wegen einer Liebe, hat sie dem Stasi-Offizier vor zwei Wochen geantwortet. Nur wegen einer Liebe.

Die BVV-Sitzung beginnt um 16.30 Uhr, Große-Leege-Straße 103, Lichtenberg

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