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Berlin: Verödet und verblödet?

Wissenschaftler aus Erkner warnt vor „Brain Drain“ im ländlichen Brandenburg, weil immer mehr gut ausgebildete Menschen wegziehen

Potsdam. Erst warnten Wissenschaftler, dass das Land in weiten Teilen zu veröden und zu versteppen droht – wegen der Bevölkerungsflucht aus den Randregionen und geringer werdender Niederschläge. Jetzt malen sie die Gefahr der „Verblödung“ Brandenburgs an die Wand – so lautet jedenfalls die provokante These von Ulf Matthiesen vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner.

Der Wissenschaftler beobachtet einen „verstärkten Wegzug der Jungen und gut Ausgebildeten“ aus den ländlichen Gebieten, aber auch aus den deindustrialisierten Mittelstädten, die 50 Prozent und mehr ihrer einstigen Bevölkerung verlören. Dies bedeute, dass in den peripheren Gebieten „nicht immer die Hellsten zurückbleiben“. Aktuelle Intelligenztests der Bundeswehr, aber auch Studien der Arbeitsämter belegten dies „mit aller nötigen Deutlichkeit“, warnte Matthiesen. Er sprach von einem „Brain Drain“, dem „Abfluss von Intelligenz und Kompetenz“. Schon jetzt herrsche in vielen Regionen extremer Mangel an Fachkräften in innovativen Wirtschaftsbereichen.

Damit nicht genug: Laut Matthiesen nimmt in den genannten Gebieten der Frauenmangel dramatisch zu: Der Männerüberschuss betrage derzeit bereits 20 Prozent. „Die Ersten, die abwandern, sind junge und qualifizierte junge Frauen“, sagte der Wissenschaftler. Dies führe dazu, dass in Teilen des Landes kaum noch Kinder geboren würden. Nehme man alles zusammen – nämlich Brain Drain, Männerüberschuss und wachsende Arbeitslosigkeit, entstehe das Schreckensbild der „sterbenden Stadt“. Die Gefahr sei groß, so Matthiesen, dass im Außenraum Brandenburgs die Kommunen bald hauptsächlich noch bevölkert würden „von arbeitslosen Stadtdeppen, ohne die Chance auf Familien- oder Paarbeziehungen“.

Der Wissenschaftler zieht daraus die Konsequenz: „Wenn das Land nicht weiter zu verblöden drohen soll, muss in Bildung, Ausbildung und Kultur investiert werden!“ Die von der Bundesregierung beabsichtigte Streichung von zwei wichtigen kulturellen Förderprogrammen für den Osten sei ebenso kontraproduktiv wie die Schließung kultureller Einrichtungen in den Städten.

Die Landesregierung sieht die von Matthiesen beschworene Gefahr einer „Verblödung“ des Landes zwar als überspitzt an. Sie bestreitet jedoch nicht die Gefahren, die sich aus dem Wegzug von intelligenten jungen Leuten aus ländlichen Regionen und kleinen Städten ergeben. Zurück blieben diejenigen, die am wenigsten mobil seien, heißt es in Potsdam offiziell. Intern wird allerdings sogar von einer „Zeitbombe“ gesprochen.

Bis 2010 werde sich die Zahl der jungen Menschen in den Randregionen mindestens halbieren, warnt Kulturministerin Johanna Wanka (CDU). Das Land versuche gegenzusteuern, indem es zum Beispiel die Zahl der Studienplätze erhöhe, damit mehr junge Leute ins Land kämen, etwa an die Universitäten nach Frankfurt (Oder) und Cottbus. Trotz Investitionen in die Bildung sei der Kulturabbau dramatisch und müsse gestoppt werden. Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) sieht in der Abwanderung wegen fehlender Arbeitsplätze ebenfalls ein ernstes Problem. Um den Exodus nicht noch zu beschleunigen, brauche man attraktive Bildungs- und Kulturangebote auch in den Randregionen. Sie seien Voraussetzung für mehr Zuzüge – zum Beispiel aus Berlin. Neuruppin etwa gewinne Einwohner durch den Zuzug älterer Berliner. Nach Reiches Ansicht müssen sich die betroffenen Regionen auf ganz neue Funktionen einstellen: Prignitz und Uckermark könnten Alters- und Wochenend-Domizile für Berliner werden wie einst die Lüneburger Heide.

Michael Mara

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