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Berlin: Verrostete Bierdosen - der kleinste Kummer

Als tausend Seemeilen vor der brasilianischen Küste sein Petroleumkocher in die Luft geflogen war, hat Jörg Lehmann noch versucht, ihn zu löten. Vergeblich.

Als tausend Seemeilen vor der brasilianischen Küste sein Petroleumkocher in die Luft geflogen war, hat Jörg Lehmann noch versucht, ihn zu löten. Vergeblich. 16 Grad südlich des Äquators hat der Berliner seinen Lebenstraum begraben, die am 18. August in Köpenick gestartete Nonstop-Weltumsegelung abgebrochen und seine Neun-Meter-Yacht "Kreuz As" auf Nordkurs gebracht. Das war am 13. Oktober, dem 56. Tag seiner Reise. Nach fast 5400 Seemeilen oder 10 000 Kilometern hat Lehmann die wohl mutigste Entscheidung seit seinem Start getroffen. Zum Erschrecken seiner Fangemeinde, dies seinen Traum-Törn - wir berichteten - übers Internet verfolgte.

Wegen der instabilen Funkverbindung auf dem Ozean erreichte die Nachricht erst fünf Tage später den Rest der Welt. Zuerst landete sie bei Carsten Lippert, der Lehmanns Reisetagebuch unter www.kreuz-as-segeln.de ins Internet stellt. "Wenn es sein muss, werden wir ihm einen neuen Kocher vor den Bug werfen", war Lipperts erster Gedanke. Doch der Skipper lehnte ab. "Er hat das Vertrauen in die Technik verloren. Nicht das in sich selbst", sagt Lippert jetzt. "Die Entscheidung ist auf jeden Fall vernünftig, denn ohne Kocher würde er definitiv erfrieren, wenn er wie geplant oberhalb der Antarktis weiterfahren würde."

Technische Probleme hatte Lehmann schon vorher: Segel mussten geflickt, mehrere Lecks abgedichtet, das Ruder repariert werden. Ärger bereitete auch die von Wind und Sonne abhängige Stromversorgung, ohne die weder Navigation noch Funkkontakt möglich sind. Dass im tropischen Klima die Bierdosen an Bord verrosteten, war noch der geringste Kummer.

"Habe geheult wie ein Schlosshund. Aus Wut, Verzweiflung...", schrieb Lehmann am Tag seiner Umkehr. Der Eintrag zwei Wochen danach klingt wieder besser: "16 Uhr 30 passiert mich eine Delphinschule. Sie sind immer in Eile. Haben aber super Stücke gezeigt: Dreiersynchronspringen vor dem Bug, Überschlag usw."

Die Nachricht des Vortages endet mit der Notiz vom Tod einer Schwalbe. Tagelang hatte sie den Segler begleitet, bis sie in der Einsamkeit des Ozeans verhungerte. Schon einmal hatte Lehmann Besuch: "Ein Vogel sitzt auf dem Radar. Spreche mit ihm, nicht weil ich einsam bin, sondern um Zutrauen zu wecken." Die Daheimgebliebenen gieren nach diesen kleinen Episoden, die auf dem Meer so groß werden: Mehr als 27 000 Zugriffe zählt die Internet-Seite seit dem Start.

Am morgigen Sonnabend dürfte Jörg Lehmann in den Hafen von Mindelo auf den Kapverden einlaufen. Sobald das Nötigste repariert ist, will er zu den Kanaren und weiter zu den Azoren segeln, wo die Kreuz As wohl bis zum Frühjahr bleiben wird. Seinen 60. Geburtstag im Dezember dürfte er nun bei Frau und Tochter in Berlin feiern statt vor der australischen Südküste. Und danach?

Sein Berliner Kontaktmann Carsten Lippert wagt noch keine Prognose. Aber zutrauen würde er Lehmann einen neuen Versuch, um die Welt zu segeln, allemal.

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