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Berlin: „Versammlung der Überflüssigen“

Von Sigrid Kneist Sie kommen von allen Seiten. Mit dem Bus, der U-Bahn, dem Auto, dem Fahrrad.

Von Sigrid Kneist

Sie kommen von allen Seiten. Mit dem Bus, der U-Bahn, dem Auto, dem Fahrrad. Tausende Beschäftigte aus den zwölf Berliner Bezirken machen sich gestern Morgen auf den Weg zur größten Personalversammlung, die das Land Berlin jemals gesehen hat. An der Max-Schmeling-Halle werden sie schon von den wehenden roten Fahnen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi begrüßt. Gewerkschafter verteilen Flugblätter und Demoaufrufe. Jugendliche protestieren auf ihre Art mit einer Mahnwache gegen die Sparpolitik des Senats, die auch zur Folge hat, dass im öffentlichen Dienst immer weniger ausgebildet und eine spätere Übernahme immer seltener wird. Sie halten Kreuze mit Inschriften wie „Dieses Kreuz steht für die Ausbildung“. Für fünf Euro kann man ein T-Shirt erwerben: „Berlin ist Pleite. Ich bin Schuld.“ Das schwarze Hemd scheint zu gefallen. Viele greifen zu. Zu der gemeinsamen Versammlung haben alle bezirklichen Personalräte aufgerufen, um über die vom Senat angestrebten Solidarpaktverhandlungen und die geplanten Kürzungen bei den Kindertagesstätten zu informieren. Derzeit gibt es rund 40 000 Beschäftigte in den Bezirken.

Das Interesse der Mitarbeiter ist riesengroß, die Furcht vor einem weiteren drastischen Beschäftigtenabbau und vor Einschnitten beim eigenen Einkommen ist groß. Gegen neun Uhr ist die 12 000 Köpfe fassende Halle voll, und die Türen werden geschlossen. Rund 1000 Beschäftigte müssen draußen bleiben. Drinnen ist jeder Platz besetzt, überwiegend von Frauen. Denn sie stellen rund zwei Drittel der bezirklichen Mitarbeiter. Das liegt vor allem daran, dass im Kita-Bereich fast ausschließlich Frauen tätig sind, und dieser Bereich macht den größten Teil des Personals aus. Auch alle zwölf Bezirksbürgermeister sind gekommen. Schließlich liegen sie ebenfalls wegen der geplanten Kürzungen mit dem Senat im Streit. Eine Milliarde Euro will der Senat durch Stellenkürzungen und Gehaltseinbußen bei den Beschäftigten sparen. Allein im nächsten Jahr sollen 250 Millionen Euro erbracht werden.

Anders als vor der Halle fehlen drinnen die gewerkschaftlichen Insignien, schließlich ist dies keine Verdi-Protestveranstaltung, sondern eine Personalversammlung, die jeder Arbeitnehmer in seiner Dienstzeit besuchen darf. So prangt lediglich über dem Podium ein schmales Spruchband „Ihr Schwarzen, Grünen, Gelben, Roten, von unseren Arbeitsplätzen weg die Pfoten“. Andrea Kühnemann, Personalratsvorsitzende von Tempelhof-Schöneberg, führt die Anwesenden in die Materie ein. Sie begrüßt zur „Personalversammlung der Überflüssigen, der überbezahlten Schmarotzer, der übel riechenden Beamten.“ Anspielungen auf Äußerungen von Finanzsenator Thilo Sarrazin, der zu Jahresanfang kurz nach seinem Amtseintritt mit diesen Worten über den Berliner Öffentlichen Dienst den Unmut der Beschäftigten hervorgerufen hat. „Diffamierend“ nennt Kühnemann diese Bemerkungen.

Sie macht die Positionen der Personalräte von vorneherein klar. Für einen Stellenabbau in einer Größenordnung von 60 000 bis 80 000 Stellen gebe es keine Legitimation, und „einen Angriff auf unsere Tarifverträge werden wir mit allen Mitteln verhindern“. Großer Beifall ist ihr sicher. Schon der bisherige Stellenabbau sei vor allem zu Lasten der Bezirke gegangen.

„Berlin soll nicht quietschen, sondern brummen“, sagt der Herbert Weber (CDU), Bezirksbürgermeister von Steglitz-Zehlendorf in Abwandlung des Wowereit-Spruches „Berlin muss sparen, bis es quietscht“. Die Stadt brauche keinen Abbau, sondern Aufbau. Im Hinblick auf den geplanten Stellenpool, in dem alle Beschäftigten im Überhang zusammengefasst werden sollen, sagt Klaus Ulbricht (SPD), Bezirkschef von Treptow-Köpenick, er werde diesen allenfalls zusätzlich in Anspruch nehmen, aber nicht auf sein eigenes Personalmanagement verzichten. Er verweist allerdings darauf, dass man eine Methode finden müsse, mit dem Senat zu einer Lösung zu kommen.

Drastische Worte für die Senatspolitik findet die Berliner Verdi-Chefin Susanne Stumpenhusen, die in der Halle auf große Zustimmung trifft. Ein halbes Jahr habe es gedauert, bis der Senat begriffen habe, „dass wir keine Tarifparteien sind“. „Das haben wir denen beigebracht“, sagt Stumpenhusen. Dass der öffentliche Dienst nach den Vorstellungen des Senats ein „Mega-Posten“ bei der Sanierung des Landeshaushaltes sein soll, sei äußerst dubios. Zudem könne man nicht von einem Solidarpakt sprechen, wenn der Senat einseitig festlege, dass bei den öffentlich Beschäftigten gespart werden soll. „Was ist daran solidarisch?“, fragt sie. Dennoch wolle sich die Gewerkschaft Gesprächen nicht verschließen, es handele sich aber bisher nicht um Verhandlungen. Einen Haushalt, der zu Lasten Dritter, der Beschäftigten und der Bürger, gehe, werde es nicht geben: „Wir müssen kämpfen für soziale Gerechtigkeit.“

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