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Berlin: Verschanzt hinter der Doppeldeckung

Kultursenator Flierl scheint in der Spardebatte unsichtbar – dabei verfolgt er nur eine ausgeklügelte Taktik

Wissen Sie eigentlich, wie Berlins Kultur- und Wissenschaftssenator heißt? Bei einer Umfrage auf der Straße würden die meisten wohl antworten: Thilo Sarrazin. Ständig ist der im Hauptberuf für Finanzen zuständige Politiker mit Reformvorschlägen für die Unis und Theater in den Medien: 200 Millionen will er bei den Hochschulen sparen, nur noch Fächer fördern, die für Sponsoren aus der Industrie attraktiv sind, die Ausbildung von Lehrern und Juristen auf Berliner Eigenbedarf herunterfahren. Sarrazin schwärmt von der Münchner Oper, weil die Tickets da so schön teuer sind (und kauft sich selber billige Stehplätze). Schließlich erklärt er die Hälfte der Berliner Bühnen für überflüssig.

Jedes Mal, wenn der Finanzsenator mit einem neuen Kahlschlag-Vorschlag in die Öffentlichkeit platzt, geht ein Aufschrei durch die Stadt. Intendanten und Gewerkschaftler, Studentenvertreter und Stadtmarketing-Experten warnen davor, Berlins größten Standortvorteil – die Kultur- und Hochschullandschaft – irreparabel zu schädigen. Nur einer, so scheint es, schweigt dazu: Thomas Flierl, laut Kabinettsliste für Kultur- und Wissenschaft zuständig. Wenn Sarrazin gegen die Kunst- und Hochschulausgaben poltert, reagiert Flierl nicht postwendend in der Abendschau oder dem Tagesspiegel, seine Pressestelle verschickt keine Protestfaxe, die Referenten halten keine aktendicken Gegenentwürfe in die laufenden Kameras.

Was macht also Thomas Flierl den lieben langen Tag?, fragt sich mancher Politik-Beobachter verwirrt. Er würdigt den verstorbenen Literaten Walter Höllerer, er diskutiert über die Kunstsammlung des Herrn Flick, liest zugunsten der Unicef am Tag der Bücherverbrennung und ruft dazu auf, Rosa Luxemburg ein „Denkzeichen“ zu setzen. Nur eines eben macht er nicht: zurückschießen, wenn Thilo Sarrazin ihm seine Richtlinienkompetenz im Kultur- und Wissenschaftsbereich streitig macht. Warum?

Weil Thomas Flierl ein Meister der Defensive ist. „Er verschanzt sich hinter seiner Doppeldeckung“, würde man das beim Boxen nennen. Fliegengewichtler Flierl arbeitet mit der Ermüdungstaktik: Der Gegner soll sich ruhig abreagieren – er duckt sich unter den Schwingern und Haken weg, bis der Kontrahent ausgepowert ist. Eine Taktik, bei der man einstecken können muss. Und für die man jede Menge Kondition braucht.

Mit seinen Sparrings-Partnern hatte es Flierl bislang nicht leicht: Das Trainings-Zusammenspiel mit Staatssekretärin Krista Tebbe klappte so schlecht, dass sie gehen musste. Bernd Mehlitz, der als oberster Beamter der Kulturverwaltung alle Kampfstrategien kennt, strebt in Richtung Ruhestand. Und auch die Praktiker aus den Institutionen, die ihm in der Ring-Ecke gute Ratschläge für die nächsten Runden einflüstern sollten, zeigten sich zunächst zögerlich bis zickig.

Flierl aber hat kein Glaskinn. Hinter verschlossenen Türen hörte er sich geduldig die Tiraden der Bedenkenträger an, redete sich den Mund fusselig und erwarb sich so Rückhalt in der Szene. Denn er weiß: Nur wenn er in der „Stunde der Wahrheit“ den Fanblock auf seiner Seite hat, kann er sich im Finale gegen das Schwergewicht Sarrazin durchsetzen. Diese „Stunde der Wahrheit“ schlägt am 24. Juni. Dann will der rot-rote Senat den Doppelhaushalt für die Jahre 2004 und 2005 ins Abgeordnetenhaus einbringen. Bis dahin muss sich der Bund erklärt haben, ob er bereit ist, sowohl die Opernreform finanziell zu unterstützen als auch dem Land Berlin beim neuen Hauptstadtkulturvertrag entgegenzukommen. Klappt der Coup, kann Flierl die Deckung endlich fallen lassen. Wenn nicht, wird es ihm wohl so ergehen wie Stefan Raab beim Duell mit Regina Halmich.

Foto: Götz Schleser

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