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Berlin: Verschwörungstheorien im Gerichtsflur

Imam der Al-Nur-Moschee sagt im Terrorprozess nicht aus – doch vor der Tür verbreitet er sein Weltbild

Von Frank Jansen

Erst am Dienstag hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vor islamistischen Parallelwelten gewarnt – da gibt am Mittwoch überraschend eine der mutmaßlichen Hauptfiguren des Islamismus in Berlin Einblick in seine Gedankenwelt. Salem El-R., seit mehr als zehn Jahren Imam der Neuköllner Al-Nur-Moschee und bei der Bundesanwaltschaft unter Terrorverdacht, spricht im Landgericht mit Journalisten. Obwohl der 43-Jährige mit dem schwarzen Vollbart die Medien der Lüge zeiht. Außerdem hat er gerade im Prozess gegen den Tunesier Ihsan G. die Aussage verweigert. Die Bundesanwaltschaft wirft G. vor, er habe auf Befehl von Al Qaida eine Terrorgruppe aufziehen wollen – um in Deutschland zu Beginn des Irak-Krieges Anschläge zu verüben. Der Libanese El-R., den Zeugen im Prozess ehrfürchtig „Scheich Salem“ nennen, soll G. unterstützt haben. Laut Anklage konnte G. in der Moschee sogar „potenzielle Terroraspiranten“ trainieren.

Leise weist Salem El-R. jeden Terrorverdacht von sich. Er habe Ihsan G. zuletzt vor fünf Jahren gesehen. Und überhaupt: Anschläge wie die in Madrid seien im Islam „hundertprozentig verboten“. Wie sieht er dann den 11. September? El-R. überlegt. Es sei nicht sicher, dass Osama bin Laden dafür verantwortlich ist. Er habe gehört, am 11. September seien 4000 Juden nicht zur Arbeit im World Trade Center erschienen. „Ich vermute, die CIA hat von den Anschlägen gewusst und sie zugelassen“, sagt er. Die USA hätten einen Grund gebraucht, um den Irak zu erobern: „Sie haben vor, das arabische Öl zu stehlen.“ Sicherheitsexperten nennen solche Theorien absurd. Und in der Al-Nur-Moschee sei der 11. September bejubelt worden.

Welche Verbindung hatte Salem El-R. zum Marokkaner Mounir al Motassadeq, den die Bundesanwaltschaft für einen Unterstützer der Attentäter des 11. September hält? Er habe Motassadeq in den Niederlanden kennen gelernt, sagt der Imam. Im Ramadan 2001 sei Motassadeq in Berlin gewesen. El-R. sagt, er habe Motassadeq zum Essen bei Bekannten eingeladen. Motassadeq sei eine Stunde geblieben. „Er hat kein Wort gesagt“, betont El-R., „wir haben nur gegessen“. Sicherheitsexperten sagen: Motassadeq bat El-R. im November 2001 in der Al-Nur-Moschee um Hilfe bei der Beschaffung eines Passes. Kurz darauf wurde Motassadeq festgenommen.

Der Imam klingt sanft, doch seine Verachtung für den Westen ist unüberhörbar. „In der westlichen Kultur sind die Familien zerstört“, sagt El-R. Ein Grund sei „die viele sexuelle Freiheit“. Seine drei kleinen Töchter dürften ab zehn Jahren keinesfall mit Jungen den Schwimmunterricht besuchen. Dann spricht er von der Würde der Frau, die nur im Islam respektiert werde. Und rechtfertigt die Vielehe: Wenn eine Frau kein Kind bekommen könne, müsse man sich nicht scheiden lassen. Ein Muslim dürfe andere Frauen haben, „um seine Wünsche zu erfüllen – damit alle zufrieden sind“.

Wie viele Muslime erreicht der Imam mit seinen Ansichten? Zum Freitagsgebet in die Al-Nur-Moschee kämen „2000 Beter“, sagt El-R. Innensenator Körting hat am Dienstag betont, zu den Anhängern einer islamistischen Gruppierung müsse man auch die Familienangehörigen zählen, um das reale Potenzial zu begreifen. Aus Sorge, in die Fänge islamistischer Demagogen könnten immer mehr junge Muslime geraten, will Körting verstärkt auf Moscheen und Vereine zugehen – „denn ich gebe keine Seele verloren“.

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